Vorarlbergs Freiheitliche verstehen die Welt nicht mehr. Warum soll plötzlich schlecht sein, was lange gut war? Mit Antisemitismus wurde in Vorarlberg schließlich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erfolgreich Politik gemacht. Genauso logisch war es für die mit absoluter Mehrheit ausgestattete ÖVP, seit Jahrzehnten an einer Koalition mit dem "blauen Lager" festzuhalten. Ein Blick in die Landesgeschichte erklärt, warum.

Was ist daran antisemitisch, wenn FPÖ-Landesrat Dieter Egger den Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems, Hanno Loewy, vor 400 begeisterten Parteifreunden als "Exil-Juden aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum" bezeichnet? Dem FPÖ-Landtagsabgeordneten Siegi Neyer ist das nicht klar: "Wenn das schon antisemitisch sein soll, dann hat es weit heruntergeschneit." Neyer muss geholfen werden. Immerhin soll er im Herbst, dann als Ex-Landtagsabgeordneter und Lehrer, seinen Schülerinnen und Schülern wieder die Welt erklären.

Da wäre einmal der "Exil-Jude": Egger weiß natürlich ganz genau - oder er müsste sträflich dumm sein -, dass Loewy, geboren 1961 in Frankfurt, nie im Exil war. Loewys Eltern allerdings konnten dem Holocaust durch rechtzeitige Flucht nach Palästina entrinnen. "Exilant" ist im "nationalen" Lager eine Kodierung für "feig", für jene, die es sich nach Ansicht der blauen Ideologen und ihrer Anhänger im Ausland bequem gemacht hätten, während die "Kriegsgeneration" ihre vaterländische Pflicht erfüllt habe. Eine Vertreibungsgeschichte muss herhalten, um das Bild vom "feigen Juden" hervorzurufen.

Und Amerika? Egger weiß natürlich ebenso, dass Loewy nicht aus den USA stammt, sondern aus Frankfurt nach Hohenems gekommen ist - oder besser: als hochqualifizierter Museumsfachmann geholt wurde. Aber seit der "Campaign" der "Ostküste" kennt man in Österreich eben "Amerika" - schon einmal, als Kurt Waldheim 1986 als Bundespräsidentschaftskandidat antrat, reichten diese Wörter als Code für jüdische Geld- und Medienmacht zum Wahlsieg.

Soweit alles klar, Herr Neyer?

Die historische Dimension

Warum aber wundern sich Egger und Co darüber, dass plötzlich Schluss mit lustig zu sein scheint und sich Landeshauptmann Sausgruber ein Ende der Koalition mit der FPÖ zumindest vorstellen kann?

Ein Blick zurück: In Vorarlberg gelang es dem dominierenden katholisch-konservativen Lager jahrzehntelang nicht, die "Textilbarone" des Landes, somit die Wirtschaftselite, sowie Teile des dörflichen und städtischen Bürgertums für sich zu gewinnen. Sie waren anfänglich liberal eingestellt, drifteten aber an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zum Deutschnationalismus und benutzten wie die Christlichsozialen den Antisemitismus als politisches Agitationsmittel. Die finanzielle und ideelle Unterstützung zuerst der illegalen und dann der an der Macht befindlichen NSDAP durch Textilindustrielle (inklusive des Lohns in Form umfangreicher "Arisierungen") ist bestens bekannt.

Wichtig aber ist der politische Elitenwandel nach 1945: Genauso geschlossen, wie Vorarlbergs führende Industrielle vor 1945 dem deutschnationalen Lager zugerechnet werden konnten, gingen diese nun - mit mehr oder weniger Begeisterung - zur ÖVP. Dort finden wir nun Repräsentanten der größten Texilunternehmen des Landes: Das NSDAP- und SS-Mitglied Rudolf Hämmerle zum Beispiel wurde ÖVP-Nationalratsabgeordneter. Hermann Rhomberg, NSDAP-Mitglied, Chef des "NS-Musterbetriebs Franz M. Rhomberg" und von Vorarlberg bis Slowenien für Rüstungsaufträge zuständig, wurde Ehrenbürger von Dornbirn und gründete die Dornbirner Messe. Das NSDAP-Mitglied Hans Ganahl war in der NS-Zeit ebenso wie nach 1945 Chef der Handelskammer und wurde ÖVP-Landtagsabgeordneter. Dass sie alle 1945 erst einmal verhaftet und als "schwerbelastet" eingestuft worden waren, versteht sich von selbst. Dass sie schon ab 1946 politisch wieder "mitmischten", versteht sich nur aus dem damaligen politischen Machtkalkül: die wirtschaftlich Mächtigen nun an die ÖVP zu binden.

Kein Wunder daher, dass die Landesschwarzen trotz ihrer ungefährdeten absoluten Mehrheit die FPÖ beziehungsweise deren Vorläuferorganisation als politisches Schoßhündchen seit 1949 in der Landesregierung hielten. Berührungsängste gab es keine: Mit Elmar Grabherr war mehr als zwanzig Jahre ein ehemals fanatischer Nationalsozialist Landesamtsdirektor und somit der höchste Beamte des Landes - nebenbei auch Wortführer der völkischen Alemannenideologie.

Ähnlich die Situation im Kulturbereich: Die ehemalige NSDAP-Bereichsleiterin für Kultur und Propaganda, Natalie Beer, erhielt als einzige Schriftstellerin in Vorarlberg ein lebenslanges Stipendium. Ihre Weltanschauung verleugnete sie nie und meinte noch 1945, der Nationalsozialismus habe ein "starkes Erbe" hinterlassen: "Und ich schaue heute noch alle, die nachher wieder zum Kreuz gekrochen sind, als lautere Verräter an und lauter Leute, die einfach keinen Charakter hatten. Sie haben keinen Charakter." Einiges hat sich aber doch geändert. Neu ist, dass die blaue Rechnung mit dem Antisemitismus nicht aufzugehen scheint. Denn viele - nicht nur jüngere - Menschen im Land stellen sich unzweideutig und offensiv gegen diese Politik. Und die Chancen stehen nicht schlecht: Sogar der wertkonservative Teil der ÖVP mit dem Exponenten Herbert Sausgruber zeigt Wirkung und distanziert sich von der antisemitischen und (gesellschafts-)spalterischen Propaganda der FPÖ. Vorsichtig zwar, aber immerhin.

Nur der Herr Lehrer Neyer versteht die Welt nicht mehr.

 (Harald Walser, DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2009)