Die neue irakische Schiitenallianz - eine Liste von Parteien, die bei den Parlamentswahlen im Jänner 2010 gemeinsam antreten werden - kam unter dem Zeichen des Chaos auf die Welt: Vier verschiedene Termine für die Gründungsveranstaltung wurden vorige Woche an einem einzigen Tag genannt. Aber am Montag war es dann so weit, die Ina (Iraqi National Alliance) war geboren.

Seitdem wird darüber spekuliert, warum es die Protagonisten des Bündnisses eigentlich so eilig hatten, dass sie ohne den wichtigsten Schiitenpolitiker des Irak loslegten: Denn Premier Nuri al-Maliki und seine Dawa-Partei bleiben draußen. Maliki ist zwar durch die sich verschlechternde Sicherheitslage derzeit angeschlagen. Aber im Vergleich zu den anderen Schiitenparteien hat die Dawa mit ihm ein echtes Zugpferd, wie die Provinzwahlen im Jänner bewiesen, zu denen er bereits alleine antrat.

Eigentlich sind ja die beiden anderen großen Schiitenparteien, die bürgerliche ISCI (Islamischer Höchster Rat) und die proletarische Sadr-Bewegung, ideologisch verfeindet - trotzdem suchen sie jetzt ihr Heil im Zusammenrücken. Beide haben Zukunftssorgen.

ISCI-Führer Abdulaziz al-Hakim, seit 2007 krebskrank, wurde soeben wieder ins Krankenhaus nach Teheran gebracht. Zwar hat sich sein Sohn Ammar - der 2007 aus dem Iran kommend an der irakischen Grenze von der US-Armee verhaftet wurde, die ihm Geld und Waffen abnahm - profiliert. Dennoch ist ein Nachfolgestreit nicht ausgeschlossen.

Ähnlich die Sadristen: Muktada al-Sadr, Nachkomme berühmter Schiitengelehrter, verschwand vor zwei Jahren zum Studium ins iranische Ghom. Die mangelnden theologischen Kenntnisse des jungen Wilden, der nach 2003 die schiitische "lost generations" um sich sammelte, waren ein Hauptangriffspunkt seiner Gegner. Jetzt soll seine Heimkehr bevorstehen: Aber ob Sadr noch denselben Appeal hat, ob er seine Statthalter, den politischen Arm der Bewegung und die Milizen, die Mahdi-Armee, zusammenhalten kann?

Dass auch Teheran dazu beigetragen hat, die Ina-Gründung zu beschleunigen, vermutet Reidar Visser vom Norve-gian Institute of International Affairs. Die irakischen Schiiten sollen offenbar daran erinnert werden, wohin sie gehören: Nicht, dass sie auf die Idee kommen könnten, dass man auch anders als schiitisch-konfessionell wählen könnte. Diese Sorgen stammen nicht nur von den Provinzwahlen, wo Maliki eben nicht als schiitischer, sondern als Sicherheitspolitiker reüssierte. Denn obwohl die Schiiten - im großen Bündnis, das später zerfiel - 2005 die Parlamentswahlen gewannen: Die absolute Mehrheit, die sie aus demografischen Gründen erwartet hatten, erreichten sie auch damals nicht.

Nun sind sie, außer der Dawa und ein paar Kleinen, alle wieder zusammen. Den überkonfessionellen Anstrich geben der Ina zwei kleine Sunnitenparteien - die ein radikal schiitisches Programm unterschrieben haben: Die Ina wird, so heißt es darin, "den Richtlinien der Marja'iya" folgen, also der höchsten schiitischen Autorität, die nicht einmal im Irak sitzen muss. Vielleicht wurde ja Muktada al-Sadr - dessen Mahdi-Armee zwar Waffenhilfe aus dem Iran annahm, der aber politisch einen irakischen nationalistischen Kurs fuhr - im Iran endgültig umgedreht.

Im Ina-Programm fehlt jedoch der Hinweis auf den - Sadr verhassten und Maliki suspekten - Föderalismus, ein Hobby der ISCI, die mit einer autonomen schiitischen Region im Süden liebäugelte. Was Maliki erleichtern könnte, sich doch noch anzuschließen.

Das soll bisher an seinen maximalistischen Forderungen scheitern. Einer ist aber dabei: Donald Rumsfelds Liebling, der wendige Herr Chalabi, Ahmad. Dass Bagdad laut Ina-Programm "keine Beziehungen zur zionistischen Entität aufnehmen" soll, stört den einstigen US-Wunschkandidaten für die Führung des Irak keineswegs. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 26.8.2009)