Toni Sailer ist am Montag in die Jagdgründe des ewigen Pulverschnees abgefahren. Verzeihung wenn das jetzt etwas pathetisch klingt, aber beim Reflektieren über meinen ehemaligen Coach kommen mir solche Gedanken einfach in den Sinn. Es war eine gemeinsame Zeit, die irgendwie anders war... 

Über Toni als Rennläufer braucht man nichts mehr zu schreiben, seine Filmographie muss ebenso wenig wie seine Biographie extra angeführt werden. Seine Persönlichkeit war aber nicht nur durch schnelle Zeiten und Glamour geprägt, sondern durch eine außergewöhnliche Aura.

Toni war einige Jahre als Rennsportleiter im Austria Ski Team mit uns unterwegs. In dieser Zeit lernte ich ihn von einer Seite kennen, die nicht allzu häufig öffentlich besprochen wird. Nach außen zeigte er sich stets sehr lustig. Soviel Spaß im Team gab es für mich weder vor noch nach Tonis Zeit als Trainer im ÖSV. Was sein Charisma ausmachte war allerdings eine gehörige Portion Tiefgang, die er in der Öffentlichkeit gerne mit Witz überspielte.

Was ihn mir als Trainer so bemerkenswert machte, war sein Zugang zur mentalen, vielleicht sogar spirituellen Ebene des Sports. Er gab mir relativ wenig Ski technische Ratschläge. Bis heute begleiten mich allerdings seine Anregungen mit der eigenen Psyche zu spielen. "Gewinnen kannst du nur wenn du alle Gedanken ausblenden kannst!" Er gehörte mit bestimmter Sicherheit zu den wenigen Coaches, die damals etwas vom Flow verstanden und diesen auch beschreiben konnten, ohne die, erst später erschienen Abhandlungen Csíkszentmihályis gekannt zu haben.

Vielleicht war er in dieser Zeit etwas hin und her gerissen zwischen den Welten. Er wusste zweifelsohne um seinen unglaublichen Ruhm. Ich werde nie vergessen, wie er bei einem gemeinsamen Spaziergang in Tokio plötzlich von riesigen Menschentrauben umringt war, die unbedingt einen Blick auf "Sailer-san" ergattern wollten. Auf der anderen Seite war er aber auch mit der einsamen Seite des tiefgründigen Denkers konfrontiert. Ich hatte oft den Eindruck, dass er unter der Spannung eines gewaltigen Spagats litt.

Wenn dieser Spagat sehr groß wurde, Tonis Spirit nicht an die Oberfläche dringen konnte, suchte er manchmal den Geist bei einem guten Tropfen. Er musste dann meistens singen und fast jedesmal war das Lied vom weißen Schiff, das nach Hongkong Kong fährt, mit echter Inbrunst vorgetragen, dabei. Der einfache Text dieses Lieds beschreibt für mich besonders treffend den Seelenzustand, eines Menschen, in dem ich mit viel Respekt als ganz junges Mädchen einen echten Freund sah.

"Es kommt der Tag da will man in die Fremde, dort wo man lebt scheint alles viel zu klein. Es kommt der Tag da zieht man in die Fremde und fragt nicht lang wie wird die Zukunft sein. Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong, hab ich Sehnsucht nach der Ferne, aber dann in weiter Ferne hab sich Sehnsucht nach Zuhaus' und ich sag zu Wind und Wolken nehmt mich mit ich tausche gerne, all die vielen fremden Länder gegen eine Heimat aus. Es kommt der Tag da lebt man in der Fremde und fühlt sich dann verlassen und allein."

Bestimmt gibt es Leute, die Angesichts des Todes von Toni eventuell ein paar weniger ruhmreiche Episoden hervor kramen möchten; wie das beim Ableben von sehr bekannten Menschen der Fall sein kann. Mit meinen Zeilen möchte ich für diesen Fall einem großartigen Menschen auch ein Stück Verständnis mitgeben.

Rest in Peace, Toni! (Nicola Werdenigg; derStandard.at; 25. August 2009)