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Ein irakischer Häftling wird im Mai nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis im Camp Boca der US-Armee begrüßt. Der US-Geheimdienst legt seine Praktiken im Umgang mit Terrorverdächtigen vor.

Foto: APA/EPA/Shebab

Mit allen Mitteln sollte Abdul Rahim al-Naschiri zum Reden gebracht werden. Mal hielten ihm Geheimdienstagenten beim Verhör einen Revolver ans Genick, mal ließen sie eine elektrische Bohrmaschine surren, bedrohlich nah an seinem Körper. So wollten sie dem Gefangenen klarmachen, dass er mit allem rechnen musste.

Um zu illustrieren, dass dies keine leeren Drohungen waren, sorgten die Schergen einmal dafür, dass in der Nachbarzelle Schüsse fielen. Al-Naschiri sollte glauben, dass Hinrichtungen tatsächlich an der Tagesordnung waren. Der bärtige Saudi zählte zu den vermeintlich größten Fischen, den die Terrorjäger an Land gezogen hatten.

Die CIA hielt ihn für den Drahtzieher eines Sprengstoffanschlags auf das amerikanische Kriegsschiff "Cole" , bei dem im Oktober 2000 im Hafen von Aden 17 Matrosen ums Leben gekommen waren. In einem geheimen Gefängnis wollten sie alles aus ihm herausholen, was er über Pläne, Strukturen und führende Köpfe von Al-Kaida wusste.

Es ist fünf Jahre her, dass der Generalinspektor der CIA einen Bericht verfasste, versehen mit dem Stempel "top secret" , in dem er auf den Fall al-Naschiri einging. Darin zeichnete John Helgerson das Bild eines Geheimdienstes, der sämtliche Regeln brach, wenn es darum ging, Terrorverdächtige einzusperren und zu verhören. Auch die eigenen Regeln. Den weiten Rahmen, den Advokaten im Kabinett George W. Bushs abgesteckt hatten.

Schein-Exekutionen

Im Sommer 2002 listeten Juristen des Justizministeriums zum ersten Mal auf, was erlaubt war im "Krieg gegen den Terror" . Demnach durfte man Häftlinge gegen eine Wand werfen, ihnen ins Gesicht schlagen, sie mit Insekten quälen und bis zu 18 Stunden in eine winzige Zelle sperren, in der sie nur stehen konnten, nicht liegen. Schlafentzug wurde abgesegnet, ebenso Waterboarding, das simulierte Ertrinken. Schein-Exekutionen waren selbst in den makaber klingenden Richtlinien nicht vorgesehen.

Helgersons brisanter Report wäre noch immer unter Verschluss, hätte die Bürgerrechtsliga ACLU nicht auf seine Freigabe geklagt und Recht bekommen. Allerdings ist die Version, die seit Montag nachlesbar ist, an etlichen Stellen zensiert. Von den Videobändern, die während der Verhöre gedreht wurden, fehlt jede Spur. Nach amtlicher Lesart sind sie vor vier Jahren vernichtet worden. Immer lauter wird der Ruf, aus alledem praktische Konsequenzen zu ziehen.

Beim Umgang Barack Obamas mit dem belastenden Erbe der Bush-Ära scheint sich eine Wende abzuzeichnen. Noch im Frühjahr hatte es der US-Präsident kategorisch abgelehnt, irgendeinen Geheimdienstler zur Verantwortung zu ziehen. Man gewinne nichts, wenn man seine Energie darauf verwende, Schuld für Vergangenes zuzuweisen, hatte Obama erklärt und für seinen nachsichtigen Kurs ein griffiges Motto geprägt: "Dies ist eine Zeit der Besinnung, nicht der Vergeltung" . Ehemalige CIA-Direktoren wie Michael Hayden warnen lautstark vor Schaden für die nationale Sicherheit. Man laufe Gefahr, sagt Hayden, "einer Belegschaft, die wachsam sein muss, Ängstlichkeit zu lehren" . Keine Ausflüchte, die volle Wahrheit müsse endlich auf den Tisch, kontern die Bürgerrechtler von ACLU. "Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was in ihrem Namen an Folter geschah."

Auch im Ressort Eric Holders, des ersten afroamerikanischen Justizministers der US-Geschichte, mehren sich die Indizien, dass sich Obamas anfängliche Linie des schnellen Schlussstrichs wohl nicht durchhalten lässt. Die Ethik-Abteilung des Ressorts empfiehlt, rund ein Dutzend Fälle, in denen Häftlinge misshandelt wurden, neu aufzurollen. Das könnte bedeuten, dass Verhörspezialisten der CIA, eventuell auch eigens angeheuerte freie Berater, mit Strafverfolgung rechnen müssen. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2009)