Barbara Prammer fühlt sich vom Justizressort nicht ausreichend informiert. "Ich kenne ja noch nicht einmal alle Vorwürfe!" Die Gewaltenteilung müsse auch gelebt werden, sagt die Nationalratspräsidentin, "da kann es keine Rücksichtnahmen geben".

Foto: Robert Newald, Der Standard

STANDARD: Die Verflechtung von Politik und Justiz sorgt für heftige Diskussionen. Soll sich auch das Parlament mit diesen Vorgängen beschäftigen, oder halten Sie eine Ausweitung des jetzigen Untersuchungsausschusses für nicht sinnvoll?
Prammer: Sinnvoll und rechtlich möglich, das muss man hier trennen. Tatsache ist, dass der Untersuchungsgegenstand für diesen einen Untersuchungsausschuss sakrosankt ist. Der wurde festgelegt, den kann man nicht im Nachhinein ändern. Es ist ein Geschäftsordnungsbeschluss, der keine Abänderungen vorsieht, auch nicht durch einen Nationalratsbeschluss.

STANDARD: Abgesehen von rechtlichen Überlegungen: Hielten Sie es für sinnvoll, die Verquickung von Politik und Justiz, was etwa die Einstellung der Ortstafelverfahren betrifft, in einem eigenen Untersuchungsausschuss zu beleuchten?

Prammer: Das Justizressort ist aufgefordert, so rasch als möglich Klärung in diese Fragen zu bringen. Ob dann noch Fragen offen sind, ob die Frage der politischen Verantwortung dann noch geklärt werden muss, das möchte ich erst beurteilen, wenn der erste Schritt der Aufklärung gesetzt ist. Ich halte Kontrolle aber für unverzichtbar und unumgänglich. Und wir haben sicherlich Handlungsbedarf. Ich will mich strikt an die Gewaltenteilung halten, aber es darf nicht eine Gewalt in Österreich geben, die sich der Kontrolle entzieht. Das kann nicht sein.

STANDARD: Wie schaut dieser Handlungsbedarf aus? Wer soll die Justiz kontrollieren? Sollen die Staatsanwälte weisungsfrei gestellt werden?

Prammer: Ich pflichte wenig überraschend dem Vorschlag des Abgeordneten Jarolim bei. Ich bin für einen Bundesstaatsanwalt, der eine Berichtspflicht an das Plenum des Nationalrates hätte. Dieser Bundesstaatsanwalt müsste selbstverständlich weisungsfrei sein. Ich hoffe, dass darüber ernsthaft diskutiert wird.

STANDARD: Fühlen Sie sich vom Justizressort ausreichend informiert?

Prammer: Ich kenne ja noch nicht einmal alle Vorwürfe! Bislang hört man wenig. Ich glaube, da ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Das gehört sehr genau offengelegt.

STANDARD: Warum tut sich die Politik mit den Ortstafeln so schwer? Das Problem belastet uns seit Jahrzehnten, schon seit Kreisky.

Prammer: Ich bin oft in Kärnten, und ich bemühe mich, immer auch die Kärntner Slowenen und Sloweninnen zu besuchen, mit denen ich bestes Einvernehmen habe. Ich stelle immer wieder fest, dass es in Kärnten zwei Welten gibt. Das Zusammenleben in den zweisprachigen Gebieten ist kein schlechtes. Mit den Ortstafeln wird aber künstlich ein Thema nationalisiert. Viele sagen, wer nicht in Kärnten lebt, versteht das nicht. Ich sag Ihnen das offen: Ich verstehe das wirklich nicht. Ich verstehe nicht, warum das in Kärnten so ein Thema ist. Es wäre so einfach. Wir haben den Staatsvertrag, der ist zu vollziehen. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes liegen vor. Wenn man sich dagegen sträubt und wehrt, dann ist das blanker Populismus und Stimmenfängerei.

STANDARD: Aber auch die Bundespolitik streift da lieber nicht an.

Prammer: Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass die Möglichkeiten der Umsetzung begrenzt sind.

STANDARD: Die Bundesregierung könnte eine Verordnung erlassen.

Prammer: Wir bräuchten ein Verfassungsgesetz. Aber auch das garantiert noch nicht, dass die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs dann umgesetzt werden. Die Verhandlungen gehen ja weiter. Aber das Problem ist, ganz egal, was man macht, wenn eine nicht unmaßgebliche Seite sich grundsätzlich sträubt, kann das beste Gesetz zu Fall gebracht werden.

STANDARD: Der Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft bezüglich diese Ortstafelverrückung ist sehr lange liegengeblieben - unter einer roten Justizministerin. Da besteht auch der Verdacht, dass das mit der Kärntner Wahl zu tun haben könnte. Die Justiz scheint auf die Politik viel Rücksicht zu nehmen.

Prammer: Es wäre schlimm, wenn es so wäre. Und wenn das so ist, dann gehört das aufgeklärt. Für mich ist es nicht akzeptabel. Wir preisen unser demokratisches System mit der Gewaltenteilung. Dann muss es aber auch gelebt werden. Da kann es keine Rücksichtnahmen geben, das würde wirklich nach Konsequenzen schreien.

STANDARD: Was hielten Sie von einem Hearing im Parlament mit den Kandidaten für einen EU-Kommissionsposten?

Prammer: Da haben wir ein Problem: die Bundesverfassung. Ich hätte überhaupt nichts gegen ein Hearing, ich habe auch nichts gegen ein anderes Prozedere, wenn man sich darauf verständigt. Aber dann muss man zunächst darüber diskutieren, wie man den Artikel 23c neu fasst. Die Bundesverfassung sieht eindeutig vor, wie das funktioniert: Die Bestellung eines EU-Kommissars liegt in der Kompetenz der Bundesregierung. Da gibt es lediglich eine Einvernehmensklausel mit dem Nationalrat. Wenn man etwas anderes will, dann muss man dort anfangen.

STANDARD: Aber das schließt ein Hearing im Parlament noch nicht aus.

Prammer: Ich hätte nichts dagegen.

STANDARD: Man kann ein Hearing offenbar nicht erzwingen, aber wenn die Bundesregierung von sich aus sagen würde ...
Prammer: Die Bundesregierung hat gar nicht die Möglichkeit zu sagen, da habt ihr drei Kandidaten, sucht euch einen aus. Die Bundesregierung ist die alleinige Verantwortliche, die jemanden vorschlägt. Ich will da nicht als Bremserin dargestellt werden. Aber als Vorsitzende des Hauptausschusses muss ich mich sehr strikt an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Aber ich gebe zu: Gescheiter wäre es, eine Diskussion mit dem Kandidaten oder der Kandidatin zu führen.

STANDARD: Selbst wenn der Nationalrat keine Entscheidungsgewalt hat, könnte er mit den Kandidaten ein Hearing machen. Die Regierung sagt, das sind unsere drei Kandidaten, wir machen quasi eine Diskussionsveranstaltung im Nationalrat, die stellen sich vor, stellen sich den Fragen, aber wer es wird, entscheiden immer noch wir.

Prammer: Wenn das die Bundesregierung so sagt, ja. Aber die Bundesregierung hat gar nicht die Verpflichtung, sich mehr als einen Kandidaten oder Kandidatin zu suchen. Das ist eine Tatsache.

STANDARD: Salopp gefragt: Ist Ihr Grant über den Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf über den Sommer verstrichen oder noch größer geworden? Es kam ja noch die Südtirol-Frage dazu.
Prammer: Ich bin es leid, immer wieder gefragt zu werden. Ich will mich so wenig wie möglich damit beschäftigen. Ich versuche den Leuten die Bedeutung des Dritten Präsidenten zu erklären.

STANDARD: Es ist aber eher eine Frage der Symbolik, und nicht eine der Geschäftsordnung.

Prammer: Da haben Sie recht. Aber wo bitte haben wir in der Vergangenheit jemals über die Bedeutung eines Dritten Nationalratspräsidenten diskutiert? Wer kennt denn die Dritten Präsidenten?

STANDARD: Na, den Martin Graf kennt man jetzt.

Prammer: Aber man muss schon die Funktion dort belassen, wo sie ist. Sie ist nicht die Nummer vier im Staat, sondern siebzehn oder so. (Michael Völker/DER STANDARD-Printausgabe, 19.8.2009)