James Luther Dickinson ist 67-jährig gestorben.

Foto: Artemis Rec.

Wien - Solche Typen werden gar nicht mehr gemacht. James Luther Dickinson, Jim gerufen, war so etwas wie das lebende Gedächtnis der Musikszene von Memphis, Tennessee. Am 15. November in Little Rock in Arkansas geboren, ging er mit seiner Mutter zuerst nach Chicago, von dort in den Süden, nach Memphis.

Schon als Teenager trieb er sich im Dunstkreis der Sun Studios herum, jener Keimzelle des Rock 'n' Roll, in der Howlin' Wolf, Rufus Thomas, Junior Parker, Johnny Cash, Roy Orbison und Elvis Presley ihre Frühwerke aufnahmen. Dickinson wurde dort Studiomusiker. Sein legeres bis dreckiges Pianospiel, das er von einem Blues-Mann namens Dish Rag erlernt hatte, war gut 50 Jahre lang auf hunderten Alben dutzender Künstler zu finden, etwa der Rolling Stones, Cher, Aretha Franklin, Bob Dylan (Time Out Of Mind) oder seinem Freund Ry Cooder.

1972 überredete ihn der Produzent von Atlantic Records, Jerry Wexler, ein Soloalbum aufzunehmen: Dixie Fried. Wexler, der für einige der wichtigsten Aufnahmen des Soul-Genres verantwortlich zeichnete, war von dem bärbeißigen Original ebenso hingerissen wie von dessen Spielart, die alle Einflüsse seiner Heimat beinhaltete. Gleichzeitig verkörperte Dickinson den liberalen, weltoffenen Südstaaten-Gentleman, gehörte also einer raren Spezies an.

Diese Offenheit machte ihn zeitlebens zur Anlaufstelle für junge Bands wie Big Star um Alex Chilton, für den Dickinson bisweilen ein Ersatzvater war. Big Stars legendäres drittes Album hat Dickinson in den frühen 1970ern produziert. Ab den Achtzigerjahren baten Künstler wie die Replacements, Green On Red, Tav Falco, Mudhoney, Jon Spencer oder Willy DeVille um seine Unterstützung, wenn es darum ging, einen möglichst räudigen, dabei scharf profilierten Sound für ihre Platten zu bekommen. Versagt hat er dabei nie. Aufgenommen wurde im Studio auf seiner Ranch, das auch seine als North Mississippi Allstars bekannten Söhne nutzen.

Seine eigene Karriere als Musiker kam dabei nicht zu kurz. In den 1980ern veröffentlichte er mit der in Memphis umtriebigen Bar-Band Mudboy & The Neutrons zwei zwischen Soul, Boogie und Irrsinn oszilierende Alben, 30 Jahre nach seinem Debüt sein zweites Solowerk Free Beer Tomorrow. Es folgten das spektakulär gute Jungle Jim And The Voodoo Tiger, Killers From Space und zuletzt Dinosaurs Run In Circles. Allesamt prächtig aus der Zeit fallende und dabei aktuelle Manifeste der Musikkultur von Memphis, denen der Mann seine atemberaubende Stimme lieh.

Der Musik seiner Wahlheimat widmete er sich auch als Sammler alter Aufnahmen aus der Beale Street - in den 1950ern die verruchte Club-Meile der Schwarzen in Memphis -, die er auf den Kompilationen It Came From Memphis veröffentlichte. Wie nun bekannt wurde, ist dieser Koloss am Wochenende während einer Herzoperation gestorben. James Luther Dickinson wurde 67 Jahre alt. (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 8. 2009)