Seit Einführung der Aufnahmeverfahren zum Medizinstudium gibt es die jährliche Aufregung, warum ein bestimmter Aspekt, sei es Mathematik, sei es räumliches Vorstellungsvermögen, sei es Textverständnis oder etwas anderes, darüber entscheidet, ob jemand Medizin studieren soll oder nicht. Dabei sei ja früher alles so einfach und toll gewesen. Abgesehen davon, dass alle Tests eine sehr breite Basis haben und nie ein einzelner, willkürlich herausgegriffener Teil entscheidend ist: Warum brauchen wir diese Aufnahmetests überhaupt?

Die sogenannte gute, alte Zeit des freien Zugangs zum Medizinstudium hatte ihre handfesten Schattenseiten. Phasenweise gab es Drop-out-Raten von über 60 Prozent, was viele Studierende nicht nach einem kurzfristigen Aufnahmeverfahren, sondern nach mehreren vergeblichen Studien- und Lebensjahren mit leeren Händen dastehen und erst sehr spät und über Umwege in andere Berufsschienen einsteigen ließ. So frei war das Medizinstudium offenbar gar nicht, und viele sind aus welchen Gründen auch immer daran gescheitert.

Nun war der Erfolg im Studium keineswegs davon abhängig, ob jemand besonders empathisch war oder besondere „Herzenswärme" hatte, sondern weitgehend davon, ob man einige ganz konkrete und sehr umfassende Fachprüfungen, die sachlich wichtig, aber weitab jedes Patientenkontakts waren, schaffte. Somit herrschte ein Selektionsprozess, den man als „Numerus erosivus" bezeichnen könnte, bei dem mehr als die Hälfte in einem mehrjährigen schmerzhaften Prozess scheiterte.

Steuerung unabdingbar

Medizin ist ein Studium, für das es traditionell mehr Nachfrage als reale Studienplätze gibt. Nachdem jahrzehntelang der "Ausgleich" zwischen Nachfrage und Angebot durch die hohe Rate von Studienabbrechern erzielt wurde, kam das System schließlich an die Grenzen, was sich durch Wartelisten während des Studiums an allen österreichischen Standorten in unterschiedlichem Ausmaß zeigte. Somit übertrifft die Zahl der am Medizinstudium interessierten Österreicher die Ausbildungsmöglichkeiten beträchtlich.

Als schließlich im Sinne der Gleichbehandlung allen EU-Bürgern der gleiche Zugang wie einheimischen Maturanten gewährt werden musste, sah man sich einem weiteren dramatischen Anstieg an Studienwerbern gegenüber. Sieht man die Zahl derer, die in Deutschland jährlich vom Medizinstudium abgewiesen werden, als potenzielle Kandidaten für die österreichischen Medizinuniversitäten, so übertreffen diese die Zahl der Studienplätze um mehr als das Zehnfache. Es ist klar, dass dies rein quantitativ nicht durch eine Ausweitung der Studienplätze gelöst werden kann, sondern eine Steuerung der Zulassung verlangt.

In der Diskussion wird stets die Ambivalenz zwischen einerseits kognitiven Fähigkeiten und andererseits psychosozialer Kompetenz angesprochen. Zweifellos sind beide Aspekte für den Arztberuf wichtig, und sie halten sich - je nach Fach unterschiedlich - in ihrer Bedeutung wohl die Waage. Es ist auch richtig, dass die kognitive Dimension kein hinreichendes Kriterium für eine gute Ärztin oder einen guten Arzt ist. Andererseits sind aber Lernfähigkeit und Lernbereitschaft eine notwendige Eigenschaft und eine absolute Voraussetzung, und ohne diese wird man mit Sicherheit ein schlechter Arzt. Kognitive Fähigkeiten lassen sich nicht durch Empathie und Charisma aufwiegen, denn diese beiden Eigenschaften allein, wenn sie nicht mit fundiertem Wissen und Verständnis verbunden sind, stellen eine für die Patienten nicht ungefährliche Konstellation dar.

Der Grund, warum die gängigen Tests überwiegend auf kognitive Fähigkeiten setzen, liegt darin, dass sich diese - im Vergleich zu den psychosozialen Aspekten - noch eher objektiv fassen lassen. Angesichts des enormen Drucks, unter dem die Medizin-Universitäten hinsichtlich der Aufnahmeverfahren stehen, ist eine solche Form von Objektivität unabdingbar. Wie auch immer ein Auswahlverfahren aussieht, muss Gerechtigkeit - im Sinne von "frei von Willkür" - im Vordergrund stehen.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass man mit den Auswahlverfahren zumindest dieses erreicht: Die Tests erfassen die Studierfähigkeit - das bedeutet, dass die Studierenden, die aufgenommen werden, deutlich erfolgreicher sind und die Abbrecherquote massiv zurückgegangen ist. Ein Vergleich aus der Med-Uni Graz zeigt, dass zur Zeit des freien Zugangs nur 20 Prozent den ersten Studienabschnitt in der vorgesehenen Semesterzahl absolvierten, während es nach Einführung der Tests über 80 Prozent sind.

Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Form der Leistung nur eine der Komponenten für den Arztberuf ist. Daher bemühen sich die medizinischen Universitäten, die weiteren, nicht kognitiven Dimensionen des Arztseins intensiv zu vermitteln. Da ist es schmerzhaft, wenn die öffentliche Diskussion indirekt unterstellt, dass engagierte und lernfähige Studierende per se weniger "Herzenswärme" hätten als andere.

Glücklicherweise erleben wir sehr oft, dass beides Hand in Hand geht, und dass das, was Bertrand Russell über das "gute Leben" gesagt hat, auch für die angehende ärztliche Tätigkeit gilt, nämlich dass sie "von Liebe beseelt und von Verstand geleitet" sei. (Josef Smolle, DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2009)