Rom - 153 Parlamentarier der italienischen Regierungskoalition und der Opposition werden den wichtigsten italienischen Feiertag "Ferragosto" (hierzulande Mariä Himmelfahrt), den morgigen Samstag, "hinter Gittern" verbringen. Sie besuchen nämlich die Strafanstalten des Landes. Sie wollen die insgesamt 221 Gefängnisse Italiens inspizieren und dort die Lebensbedingungen der Häftlinge überprüfen. Die Parlamentarier sollen bei den Besuchen mit Häftlingen, Direktoren, Sicherheitsbeamten, Psychologen und Ärzten zusammentreffen.

Der Besuch wurde organisiert, nachdem der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Italien wegen teils unmenschlicher Bedingungen in seinen Strafanstalten verurteilt hat.

Der italienische Staat wird einem bosnischen Sträfling Schadenersatz wegen der "unmenschlichen und degradierenden Behandlungen" zahlen müssen, die er in der übervölkerten Strafanstalt Rebibbia in Rom hatten erdulden müssen. Während seiner Gefangenschaft zwischen November 2002 und April 2003 habe der Bosnier eine 16,2 Quadratmeter große Zelle mit fünf Personen teilen müssen. Jeder Häftling habe also lediglich 2,70 Quadratmeter Lebensraum zur Verfügung gehabt, was deutlich unter den vom Komitee zur Vorbeugung der Folter vorgesehenen Mindeststandards liege. Laut dem Komitee sind sieben Quadratmeter Fläche pro Kopf der minimale Lebensraum für Häftlinge in einer Zelle.

Das Urteil des Straßburger Gerichts löste in Rom wieder einmal Debatten über das chronische Problem der überbelasteten Strafanstalten aus. Die Zahl der Häftlinge hat in Italien im Juli ein Rekordhoch von 63.587 Personen erreicht. 31.192 Menschen wurden verurteilt, während 30.436 noch in Untersuchungshaft auf ihren Prozess warten. Die Region mit den meisten Häftlingen ist die Lombardei mit 8.422 Sträflingen, gefolgt von Sizilien (7.587) und Kampanien (7.437).

Der Verband der italienischen Rechtsanwälte vertrat die Meinung, dass die Überlastung der Haftanstalten mit einem Rechtsstaat unverträglich sei. Man müsse nach alternativen Maßnahmen suchen. Der römische Bürgermeister Gianni Alemanno warnte davor, nur wegen überfüllter Strafanstalten Personen auf freien Fuß zu setzen, sie könnten schließlich die Sicherheit der Bürger gefährden. (APA)