Wien - E. muss in seiner Wohnung in Wien-Favoriten Höllenqualen durchlitten haben am 6. und 7. Mai 2008. Zigaretten wurden auf seinem Körper ausgedrückt, er wurde mit Glasscherben geschnitten, verprügelt, sexuell misshandelt und gedemütigt. Weil er einem Bekannten zwei "Substis" gestohlen hatte. Und dieser ihm für das Verschwinden seiner Tabletten des Drogenersatzstoffes Substitol offenbar einen Denkzettel verpassen wollte.

Den Zuhörern im Saal 106 des Wiener Landesgerichtes krampft sich am Donnerstag der Magen zusammen, als Staatsanwältin Karin Bauer die Anklageschrift verliest. Die widerwärtigen Details vorträgt, die beschreiben, wie der 19-jährige E. von Martin H., Jasmin H. und Günter R. gefoltert worden sein soll. Eine Anklageschrift, die Einblicke in die Drogenszene Wiens gibt, bei denen man nicht weiß, ob Mitleid oder Abscheu die richtige Emotion ist.

E.s Leben ist zerstört, sagt die Privatbeteiligtenvertreterin. Seit über einem Jahr braucht er psychologische Begleitung, er kann nur mehr mittels Tabletten einschlafen, er hat Angst, die Wohnung zu verlassen. Der Verteidiger von Martin H. sieht das ein wenig anders: Das Opfer sei schon zuvor drogenabhängig gewesen und habe kaum gearbeitet, die ganze Sache sei eine "milieubedingte Auseinandersetzung mit einem Freund" gewesen, versucht er zu verharmlosen. Die Verteidiger der anderen ziehen nicht mit und benennen den Vorfall unumwunden als fürchterliche, ja einmalige, Gewaltanwendung.

Tatsächlich haben der 34-jährige Martin H. und die 19-jährige Jasmin H. (die beiden sind ein Paar, seit Jasmin 14 ist) und das Opfer einander gekannt. Und dieser hat H. tatsächlich zwei Substitoltabletten gestohlen, was dem am Wochenende schwere Entzugserscheinungen brachte. Mit dem 44 Jahre alten Bekannten (schwer alkoholkrank)ging man dann in die Wohnung, und die Tortur begann.

Eine Tortur, die Jasmin H. kaltgelassen hat und die sie auch dem Schöffengericht unter Vorsitz von Norbert Gerstenbauer seltsam emotionslos schildert. Eine Emotionslosigkeit, die die psychiatrische Gutachterin in ihrer Stellungnahme bestätigt. Die Fähigkeit zur Empathie sei deutlich herabgesetzt, sie leide an einer "substanzinduzierten Wesensveränderung" .

Denn auch H.s Leben ist zerstört. Desolate Familienverhältnisse, Misshandlungen, mit zwölf der erste Joint, mit 15 erstmals Substitol gespritzt. Ihr gewalttätiger Freund Martin H., selbst drogenabhängig, ist die einzige Konstante in ihrem Leben, selbst nach eineinhalb Jahren Haft schützt sie ihn. Die einzige andere Bezugsperson war eine Streetworkerin - die der Psychiaterin sagte: "Das Gefängnis und eine lange Haft sind die einzige Chance für sie."

Die Vernehmungen der drei Angeklagten, die sich teils gegenseitig belasten, dauern so lange, dass auf den 8. September vertagt wird. Das Trio bleibt in Untersuchungshaft. (Michael Möseneder, DER STANDARD - Printausgabe, 14./15./16. August 2009)