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In Fellbach bei Stuttgart erregte die Werbung für eine "Sex-Flatrate"  die Gemüter. Das Geschäftsmodell samt Werbung wurde derweil von den BetreiberInnen des "Pussy Clubs" ausgesetzt.

Foto: AP/Thomas Kienzle

"Herr Bürgermeister, Sie haben keine Ahnung, wie dies Geschäft funktioniert!" Mit diesen Worten setzten sich Sexarbeiterinnen des Fellbacher "Pussy Club" noch im Juni in einem offenen Brief gegen Einmischungen der Politik zur Wehr - mit geringem Erfolg: wenig später wurde ihr Bordell und drei weitere Filialen mit sogenannten "Flatrate"-Tarifen von mehreren hundert Polizisten gestürmt.

Gehör finden sollte der Brief natürlich nicht nur beim Fellbacher CDU-Oberbürgermeister Christoph Palm, sondern auch bei anderen Parteien, Fraueneinrichtungen und religiösen Vereinen, die im Vorfeld für ein Verbot der Werbung und des dazugehörigen Angebots mobilisiert hatten, und das, obwohl Prostitution in Deutschland seit 2002 mit anderen Gewerben gleichstellt ist.

Unwürdige Arbeitsbedingungen

Das All-Inclusive-Angebot von 70 bis 100 Euro nährte in Politik und Zivilgesellschaft die Vorstellung, die dort arbeitenden Frauen, in der Mehrheit Migrantinnen, wären den Forderungen der Freier ungeschützt ausgesetzt. Hinzu kam bei Polizei und Staatsanwalt der Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug und illegale Beschäftigung: Sie vermuteten Scheinselbstständigkeit bei den Frauen mit Hinweis auf das nicht vorhandene unternehmerische Risiko für die Frauen.

Bei der Razzia Ende Juli stellte die Exekutive fürs erste nur "hygienische Mängel" fest, die dann auch zur vorübergehenden Schließung des Clubs führten. Heute ist der Club wieder geöffnet, allerdings ohne das Flatrate-Angebot. Was die Arbeitsverhältnisse betrifft, stellte sich heraus, dass die Sexarbeiterinnen sehr wohl die Möglichkeit hatten, Freier abzuweisen. Ein veröffentlichter Lokalaugenschein einer Wiener Sexarbeiterin im Fellbacher Club noch vor der Razzia ließ zudem auf eine weitgehend zwanglose Arbeitsatmosphäre schließen, die von den dort arbeitenden Frauen geschätzt wurde.

Opferbilder dominieren

Das Handeln über die Köpfe der Betroffenen hinweg bezeichnen SexarbeiterInnen-Organisationen als "symptomatisch" im Umgang mit den Betroffenen. In Medien und Politik dominiere nach wie vor das Bild des Opfers, das es aus der Prostitution zu retten gilt. Förderstrukturen im sozialen Bereich seien zudem auf diese Wahrnehmung abgestimmt, kritisiert etwa Christian Knappik von der SexarbeiterInnen-Plattform sexworker.at. Im Zuge der Diskussion um die Flatrates wurde nun erstmals deutlich, dass sich die Opfer wehren als solche behandelt zu werden.

Solidarität mit dem Pussy Club

Vor und nach der Razzia im Pussy Club protestierten im ganzen deutschsprachigen Raum Betroffene und Einrichtungen, die SexarbeiterInnen betreuen, gegen die Form der Verbotsdebatte, in der die Betroffenen nicht gehört wurden. Der Tenor, der auch der Anzeigenaktion der Frankfurter Beratungsstelle Dona Carmen e.V. (dieStandard.at berichtete) oder dem offenen Brief von deutschen Beratungseinrichtungen für Sexarbeiterinnen zu entnehmen ist, lautet ähnlich: Sexarbeiterinnen wollen für sich selbst sprechen, sie fordern die Anerkennung ihrer Tätigkeit als Arbeit und die Festschreibung arbeitsrechtlicher Standards.

Mechthild Eickel von der Beratungsstelle Madonna e.V. in Bochum schätzt das Engagement der Branche in diesem Fall als "einmalig" ein. "Ich kann mich nicht erinnern, dass Sexarbeiterinnen in der medialen Debatte schon einmal so präsent waren," betont sie gegenüber dieStandard.at. Positiv überrascht war die Organisatorin des gemeinsamen offenen Briefes auch davon, dass in den Medien relativ differenziert berichtet wurde. "Die Unverhältnismäßigkeit der Razzia ist deutlich geworden", so Eickel, die kritisiert, dass beim Verdacht auf arbeitsrechtliche Verstöße oder Hygienemängeln in anderen Branchen sicher anders reagiert worden wäre.

Veränderte Situation

Von einem grundsätzlichen Wandel in Medien und Gesellschaft bei der Betrachtung von Sexarbeit könne allerdings nicht gesprochen werden. Bei der Wiener Plattform "sexworker.at" und größter SexarbeiterInnen-Plattform im deutschsprachigen Raum ist man davon überzeugt, dass die Gesellschaft mit ihren Vorstellungen den tatsächlichen Entwicklungen in der Branche hinterherhinkt. Die Medien würden weiterhin hauptsächlich über Ausbeutung und Gewalt in der Sexarbeit berichten, Tatsache sei aber: "Die Sexarbeit hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Früher mussten die Frauen einen Mann haben, der ihnen einen Platz auf der Straße erkämpfte. Heute gibt es Handy und Internet, die Frauen brauchen keinen Zuhälter mehr", so Christian Knappik, Sprecher des Vereins und in der Beratung von SexarbeiterInnen aktiv.

In der Gegenwart noch grundsätzlich von Ausbeutung in der Sexarbeit zu sprechen, sei Unfug: "Die Frauen im Gewerbe sind in den letzten 20 Jahren sehr viel selbstbewusster geworden. Leider werden in der öffentlichen Wahrnehmung und auch von der Politik immer ganz viele Bereiche miteinander vermischt: Drogenstrich, Zwangsprostitution, Kinderprostitution sind nicht zu vergleichen mit Sexarbeit von Frauen, die sich eigenständig dazu entschieden haben."

Frauenfeindliche Flatrates

Dass Flatrates per se frauenfeindlich seien, können die SexarbeiterInnen-Einrichtungen nicht unterschreiben. "Flatrate ist ein Geschäftsmodell wie viele andere auch. Als Bewertung steht für uns die Frage im Zentrum, wie selbstbestimmt eine Frau darin arbeiten kann. Können sie sich die Services, die sie machen, selbst aussuchen, dürfen sie Freier ablehnen und wie werden sie bezahlt", so Renate Blum von der Migrantinnen-Beratungseinrichtung Lefö. Die Art der Werbung sei wieder eine andere Frage: "Sex mit allen Frauen, so lange Du willst, so oft Du willst und wie Du willst" textete der "Pussy Club" auf seinen Werbeflächen. "Die Art der Darstellung ist fraglich", so Blum und auch Knappik hat mit der polarisierenden Vorgehensweise des Bordells wenig Freude.  Problematisiert wird im offenen Brief der SexarbeiterInnen (siehe oben) auch, dass solche Billigangebote den Konkurrenzdruck in der Branche anheizen. Ein Verbot von Flatrate-Modellen hält jedoch niemand für ratsam, weil es über die betroffenen Frauen hinweg entschieden würde.

"Mein Geschlecht gehört mir"

Die strittige Frage der Selbstbestimmung in der Sexarbeit dominiert nicht zuletzt das Verhältnis von bestimmten Feministinnen und Sexarbeiterinnen. Frauenrechtlerinnen, denen es darum geht, einen patriarchatsfreien Raum zu erkämpfen, lehnen Prostitution als Ausdruck der Herrschaft von Männern über Frauen grundsätzlich ab. Zudem müsse sich Selbstbestimmung immer auch daran messen lassen, ob es für die Frauen eine reale Alternative zur ausgeführten Tätigkeit gibt, lautet ein weiteres Argument.

Mit diesen gesellschaftlichen Soll-Vorstellungen haben Sexarbeiterinnen wenig am Hut. Sie streben stattdessen eine rechtliche Verbesserung des Ist-Zustandes - nicht mehr, aber auch nicht weniger - an. Hinzu kommt, dass sich viele Sexarbeiterinnen heute selbst als Feministinnen begreifen, indem sie aktiv für ihre eigene rechtliche Besserstellung kämpfen. Verwendet werden dabei auch die Begriffe und Slogans der Frauenbewegung. Hieß es damals noch "Mein Bauch gehört mir", um das selbstbestimmte Recht auf Abtreibung zu verdeutlichen, meinen Sexarbeiterinnen heute "Mein Geschlecht gehört mir" und gehen sogar soweit, ihre Tätigkeit als Ausdruck sexueller Selbstbestimmung zu bezeichnen.

Renate Blum will eine "Dichotomie" zwischen Feministinnen und Sexarbeiterinnen so nicht gelten lassen: "Die Allianzen zwischen Feministinnen und SexarbeiterInnen sind da, gerade was die Forderung nach mehr Rechten für Prostituierte betrifft". Feministinnen wie Alice Schwarzer, die Prostitution grundsätzlich ablehnen, würde man freilich nicht erreichen können, "aber der Großteil der Feministinnen will sich wirklich vorurteilsfrei mit der Situation von Sexarbeiterinnen beschäftigen". (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 12.8.2009)