Vladimir Gligorov: "Einen rigiden Sparkurs als generelles Prinzip zu verfolgen ist falsch."

In Zentral- und Osteuropa wird das große Wachstum auch nach der Krise nicht zurückkehren, sagt der Ökonom Vladimir Gligorov. Weder Banken noch Investoren werden so schnell wieder kommen, sagte er András Szigetvari und Adelheid Wölfl.

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STANDARD: Der Internationale Währungsfonds hat durch die Krise eine massive Aufwertung erfahren. Ist er der neue Big Player der Finanzwelt?

Gligorov: Der IWF hat viel mehr Geld und eine neue Rolle: Er fungiert heute mehr als eine Art Weltzentralbank, die auch die internationale Nachfrage ankurbeln soll, denn als eine Institution, die Reformen vorantreibt. Der IWF knüpft auch an die Vergabe seiner Gelder nicht mehr jene Bedingungen wie früher, als er strikte Privatisierungen und Liberalisierungen verlangt hat. Seine Bedeutung in der Politik ist also geringer geworden.

STANDARD: Aber alle Staaten, die vom IWF Geld bekommen haben, setzten ein Sparprogramm um?

Gligorov: Das ist eine andere Frage. Der IWF ermuntert einerseits Staaten wie die USA, Japan und die EU dazu, größere Defizite in Kauf zu nehmen, um den Konsum zu stärken. Das Problem beginnt beim Umgang mit jenen Ländern, vor allem in Osteuropa, die in Finanzturbulenzen geraten sind. Hier kämpft der IWF noch darum, den richtigen Zugang zu finden, zum Teil agiert er immer noch nach seinem alten Modell. Gerät ein Staat also in Turbulenzen, drängt der IWF zum Sparen, wobei der IWF inzwischen flexibler geworden ist: Seine Experten rücken mit rigorosen Vorstellungen an, weichen diese dann aber auf. Der IWF nimmt etwa ein Defizit von sechs Prozent in Kauf, aber nicht eines von zehn Prozent.

STANDARD: Was aber immer noch weit über den von der EU verankerten Maastricht-Kriterien von drei Prozent liegt. Das könnte bei der Euro-Einführung relevant werden.

Gligorov: Wobei die Maastricht-Kriterien ja schon aufgeweicht wurden. Der Währungsfonds ist heute weniger konservativ als die EU. Die Union operiert unter recht konservativen Prinzipien und kennt nur ein Ziel, nämlich Stabiltät zu garantieren, um den Euro zu stützen. Die Situation hat sich verändert, aber nicht die EU.

STANDARD: Ist die IWF-Strategie also falsch?

Gligorov: Einen rigiden Sparkurs als generelles Prinzip zu verfolgen ist falsch. Unter normalen Bedingungen, sagen wir vor zehn Jahren, ging man mit Staaten, die in Finanzturbulenzen geraten waren, immer gleich um: Den Staaten wurde eine Abwertung ihrer Währung verordnet, um die Exporte anzukurbeln (durch eine Abwertung werden einheimische Produkte für ausländische Käufer billiger, Anm.). Daneben wurde eine Kürzung der Staatsausgaben verordnet, um die Eigenreserven im betroffenen Land zu stärken. Rückkehr zum Wachstum über die Exportwirtschaft funktioniert aber in einer Situation, wo die Weltwirtschaft schrumpft, nicht - zumindest nicht sofort.

STANDARD: Wird das Wachstum in Zentral- und Osteuropa nach der Krise wieder zurückkehren?

Gligorov: Die internationalen Programme in Osteuropa konzentrieren sich derzeit darauf, die Finanzsysteme, also die Banken, vor dem Kollaps zu bewahren. Im Moment ist der IWF nicht am Wachstum dieser Staaten interessiert. Später, ab Ende des Jahres, wird sich aber die ernste Frage stellen, was die Staaten tun sollen, um das Wachstum anzukurbeln. Die Annahme, dass das Wachstum in den Osten zurückkehren wird, sobald die großen EU-Staaten wieder anziehen, halte ich für nicht realistisch. Der IWF weiß nur zu gut, dass das alte Modell - also starke Investitionen aus Westeuropa in den Osten - nicht zurückkehren wird. Zumindest nicht in nächster Zeit. Wir dürfen nicht mit den Kapitalflüssen von früher rechnen.

STANDARD: Warum nicht?

Gligorov: Weil die Banken sich restrukturieren, ihre Risiken minimieren und ihre Kapitalbasis stärken. Das wird das Potenzial der Banken, Kredite nach Osteuropa zu vergeben, einschränken. Hinzu kommt, dass zusätzliche Investitionen in den Osten für Unternehmer keinen Sinn machen, solange schon bestehende Kapazitäten - etwa in der Automobilindustrie - nicht ausgeschöpft werden. Auf mittelfristige Sicht gibt es also keine Quelle für ein starkes Wachstum. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2009)