"Argumente sind das, was existiert", Jonathan Safran Foer, dessen Debütroman weltweit für Aufsehen sorgt.

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Mit seinem Roman "Alles ist erleuchtet", einer vielschichtigen Reise in die Vergangenheit der jüdischen Kultur Osteuropas, schrieb der 25-jährige Amerikaner Jonathan Safran Foer das anspruchsvollste Romandebüt seit langem. Mit ihm sprach Cornelia Niedermeier


München - "Dann habe ich Jonathan Safran Foer kennen gelernt, und ich kann Ihnen sagen: Er hat keine Scheiße zwischen den Ohren. Er ist ein genialer Jude." Optisch zwar eher unauffällig: "Er trug eine Brille und hatte magere Haare, die nirgends durchgeteilt waren. Er sah wirklich überhaupt nicht besonders aus. Ich war total unterwältigt." Alexander Perchow, der ukrainische Übersetzer mit dem Wörterbuchwortschatz, ist nicht nur eine genial erfundene Erzählerfigur des Autors Jonathan Safran Foer. Er ist nebenbei auch einer der größten Bewunderer von Jonathan Safran Foer, der Figur im Roman Alles ist erleuchtet, mit dem er sich auf die Reise in das Schtetl gibt, in dem Foers Vorfahren gelebt haben, bevor sie vor den Nationalsozialisten nach Amerika flüchteten. Alle drei befinden sich derzeit auf Lesereise in München, Berlin und bei der Leipziger Buchmesse.

STANDARD: Alexander Perchow war ja erst einmal "total unterwältigt", als er Jonathan Safran Foer kennen lernte. Das hat sich schnell geändert, Foer heißt dann im Buch meistens "der Held". Für Jonathan Safran Foer, den Autor, war die Begegnung mit Alex auf jeden Fall ein Glücksfall.

Foer: Dabei hatte ich, als ich zu schreiben begann, keinerlei Idee, wer die Geschichte erzählen sollte oder wie. Alex erwies sich als der ideale Erzähler. Erstens, weil er die Dinge von außen betrachtet, zweitens durch seine Sprache. Er hat eine witzige Art, genau das zu sagen, was er fühlt. Es fehlen ihm eben die Worte. Etwas, woran wir alle leiden.

STANDARD: Nur meistens weniger komisch. Jonathan Safran Foer, der Held, ist als Erzähler der Chronik des Schtetls Trachimbrod dagegen weit weniger vielseitig als Jonathan Safran Foer, der Autor von "Alles ist erleuchtet".

Foer: Es ist wichtig, dass Jonathan im Buch, obwohl anwesend, eigentlich abwesend ist. Das Buch handelt von Abwesenheiten und von dem Bemühen, Löcher aufzufüllen. In der Erzählung von Alex erfahren wir wenig über Jonathan. Er erscheint nur dadurch, wie andere mit ihm interagieren. Er übernimmt die Rolle der Toten in dem Buch, und doch ist er es, der nach ihnen sucht.

STANDARD: An mehreren Stellen des Romans erwähnen Sie "Hamlet". Ein Zufall?

Foer: Nein. Auch in dem Buch, an dem ich jetzt gerade schreibe, durchzieht Hamlet die ganze Geschichte. Und viele der Themen aus Hamlet sind in Alles ist erleuchtet tatsächlich stark präsent. Etwa das Thema der Tat. "Sein oder Nichtsein" ist ja letztlich auch die Frage danach, ob man nur über Dinge nachdenkt oder sie tatsächlich tut. Außerdem durchzieht eine Zweiteilung das Buch: Die Geschichte hat einen historisch-magischen Teil und einen realistisch-gegenwärtigen, das Dorf ist zweigeteilt. Es geht letztlich nicht um "Sein oder Nichtsein", sondern um die Existenz der Frage.

STANDARD: ... um das "oder"? Foer: Genau. Judentum oder säkulare bürgerliche Welt, Humor oder Ernsthaftigkeit. Die Antwort ist: Man entscheidet sich nicht für das eine oder andere. Man hat Argumente, und die Argumente sind das, was existiert. - Abgesehen davon kann man natürlich von jedem Buch, das Sie jemals lesen, sagen, es zitiert Hamlet. Man müsste nur versuchen, es nachzuweisen. Was vermutlich ziemlich einfach wäre.

STANDARD: Und Ihr nächster "Hamlet"-Roman? Derzeit, erfährt man jedenfalls, wohnen Sie in Paris, um dafür zu recherchieren.

Foer: Für zwei Monate. Der nächste Roman soll vollkommen anders werden als Alles ist erleuchtet. Übrigens auch optisch. Ich möchte, dass viele Seiten ausgeschnitten sind. Mal sehen, ob die Verleger das machen.

STANDARD: Ausgeschnitten?

Foer: Es gibt eine Figur in dem Buch, die ein Tagebuch führt. Sie schreibt ihre Notizen auf die Ränder der Seiten anderer Bücher. Und wenn sie fertig ist, schneidet sie den Text der Bücher aus. Sie schreibt also zum Beispiel um das Buch Genesis herum - die Erschaffung der Welt. Und bemüht sich so sehr, ihre Welt, ihre eigenen Erfahrungen herzustellen.

STANDARD: Zurück zu den Erfahrungen Jonathan Safran Foers. Momentan sind Sie auf Lesereise, geben ein Interview nach dem anderen. Bis vor einem Jahr kannte niemand Sie, Sie hatten absolute Ruhe, nun meint jeder, Sie zu kennen.

Foer: Ja, aber bevor ich das Buch veröffentlichte, musste ich den ganzen Tag in einem Büro arbeiten. Jetzt habe ich Zeit zu schreiben und kann in Paris leben. Ich bin nicht wirklich unzufrieden.

STANDARD: Sie haben in Princeton "Creative Writing"-Klassen bei Joyce Carol Oates besucht. Wird man so zum Erfolgsautor? Haben die Kurse Ihr Schreiben verändert?

Foer: Nein, überhaupt nicht. Aber sie haben mein Leben verändert. Joyce Carol Oates war die Erste, die mir gesagt hat, mein Schreiben wäre gut. Vorher war mir nicht einmal richtig bewusst, dass ich ernsthaft schrieb. Ich hielt das für Spaß. Nicht mein Stil hat sich also durch die Kurse verändert, aber die Art, wie ich darüber dachte. Und dadurch die Energie, die Fantasie, die ich aufs Schreiben verwandte.

STANDARD: Zurück in die Gegenwart. Demnächst kehren Sie in die USA zurück. George W. Bush scheint Ihr Buch nicht gelesen zu haben - das ja nicht zuletzt ein Plädoyer ist gegen jeden Krieg.

Foer: Ja. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es irgend jemanden gibt, dessen Situation durch diesen Krieg verbessert wird. Dass die Rechte von irgendwem verbessert werden. Es ist beschämend. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2003)