Hier trainiert ein Polizist für den Ernstfall. Die Waffe ist aber - zumindest in Europa - die Ultima Ratio. In den USA hingegen gilt oft "Erst schießen, dann fragen".

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Dass ein Polizist auf ein Kind oder einen Jugendlichen schießt, ist in Deutschland grundsätzlich undenkbar. "Das Gesetz verbietet es", sagte Hans-Jürgen Marker von der Gewerkschaft der Polizei zum Standard. Einzige Ausnahme: Der Polizist ist gezwungen, in Notwehr zu handeln. Allerdings räumt Marker ein, dass es nicht immer leicht ist festzustellen, ob man es mit einem Erwachsenen oder einem unter 18-Jährigen zu tun hat. Bei Erwachsenen gilt: Bevor der Polizist schießt, muss er den Schuss androhen - entweder durch Zuruf oder einen Warnschuss. Nützt das nichts, kann der Polizist auf die Person schießen. Er darf aber nur auf Beine oder Arme zielen, nicht in den Kopf oder in den Rücken.

Schwer umstritten ist in Deutschland der "finale Rettungsschuss", der nur bei Geiselnahmen zulässig ist. Einen Schuss, der gezielt tödlich eingesetzt wird, darf ein Polizist nur dann abgeben, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, von Dritten (also den Geiseln) Gefahr für Leib und Leben abzuwehren. Laut Angaben der nichtstaatlichen Organisation "Bürgerrechte & Polizei / CILIP" sind seit 1952 in Deutschland mindestens 425 Personen erschossen worden. In den vergangenen Jahren schwankte die Zahl. Während 2005 fünf und 2006 sechs Personen ums Leben kamen, waren es im Jahr 2007 zwölf.

Der "Bobby" in Großbritannien ist traditionell unbewaffnet, wenn man von Schlagstock und Reizgas absieht. Nur die Offiziere der nordirischen Polizei sowie die Beamten der "Civil Nuclear Authority" und die Verteidigungsministeriums tragen routinemäßig Schusswaffen. Darüber hinaus hat jede der geografisch organisierten Polizeikräfte in England eine "Firearms Unit", die auf Zwischenfälle reagiert, in denen ein Schusswaffengebrauch nötig wäre. Die Hürden für den Einsatz sind hoch. Bei Scotland Yard, der Londoner Polizei, ist routinemäßig ein Beobachter im Team einer bewaffneten Polizeieinheit dabei. Jeder Zwischenfall, in dem eine Polizeiwaffe abgefeuert wird, wird untersucht.

Weniger Waffen, weniger Tote

Auch in Nordeuropa ist das Recht auf Gewaltanwendung strengen Regeln unterworfen, und der einzelne Polizist muss bei Regelübertretungen Disziplinarmaßnahmen oder die Entlassung fürchten. In Finnland, Dänemark und Schweden tritt die Polizei im Außendienst seit Jahrzehnten bewaffnet auf. In Norwegen hingegen dürfen Polizisten im Außendienst nur in Ausnahmesituationen bewaffnet sein. Laut einem Bericht der schwedischen Polizeihochschule aus dem Jahr 2002 werden in Schweden viermal so viele Personen durch polizeiliche Waffengewalt verletzt wie in Norwegen.

In den USA schießt die Polizei schnell: Hände am Lenkrad lassen, keine ruckartigen Bewegungen und nur nicht ins Handschuhfach greifen - jeder Bürger kennt die ungeschriebenen Regeln, wenn ein Autofahrer von einer Streife angehalten wird. Immer wieder gibt es Fälle, in denen nervöse Beamte feuern. Grundsätzlich gilt: Gerechtfertigt sind Schüsse nur, wenn ein Beamter das eigene oder ein anderes Leben bedroht sieht. In der Praxis gilt oft das Prinzip "Erst schießen, dann fragen".

Im Landkreis Harris County etwa, zu dem die texanische Millionenstadt Houston gehört, haben Beamte laut einer Untersuchung des Houston Chronicle binnen fünfeinhalb Jahren 48 unbewaffnete Menschen durch Schüsse verletzt und 17 getötet, mehr als die Hälfte davon in ihren Autos. In insgesamt 189 analysierten Fällen schoss die Polizei jedes zweite Mal auf einen Unbewaffneten. Fast nie sei der Schusswaffengebrauch als ungerechtfertigt eingestuft worden, so der Chronicle. Um die Zahl unnötiger Schusswaffeneinsätze zu reduzieren, wird die Polizei zunehmend mit nichttödlichen Waffen wie Elektro-Tasern ausgerüstet. (bau, ren, ost, witt, DER STANDARD Printausgabe, 07.08.2009)