Kabul - Die afghanische Regierung schätzt die Sicherheitslage in Afghanistan als äußerst schlecht ein. Wie aus einer von Innenministerium und Militär erstellten Karte hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch vorlag, drohen in fast der Hälfte des Landes Angriffe durch Taliban oder andere Aufständische. 133 von 356 Distrikte gelten demnach als hochgefährdet. Mindestens 13 von ihnen befinden sich den Aufzeichnungen zufolge sogar unter feindlicher Kontrolle. Die Karte wurde im April erstellt und damit noch vor der jüngsten Eskalation der Gewalt vor den Präsidentschaftswahlen am 20. August.

Der Karte zufolge ist fast der gesamte Süden des Landes hochgradig angriffsgefährdet. Die radikal-islamischen Taliban haben ihr Einflussgebiet mittlerweile jedoch auch über ihre traditionellen Hochburgen im Süden und Osten des Landes hinaus ausgedehnt. So gilt der Karte zufolge inzwischen selbst die Umgebung der Hauptstadt Kabul als gefährdet. Im nördlich gelegenen Kunduz, dem gefährlichsten Einsatzort der deutschen Bundeswehr in Afghanistan, ist die Gefahr der Karte zufolge mittelhoch.

Enklave

Erst vor kurzem hatte der Chef der internationalen Schutztruppe in Afghanistan, Stanley McChrystal, sich besorgt über die Lage im Raum Kunduz geäußert und von der Bundeswehr mehr Einsätze gegen die Taliban verlangt. Die Islamisten wollten im Norden eine Enklave aufbauen und würden dabei aus ihren Hochburgen im Süden unterstützt, sagte der ISAF-General "Spiegel Online". Die Bundeswehr hatte vor zwei Wochen gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften eine Offensive in der Region begonnen, um die Taliban zurückzudrängen.

Die Gewalt in Afghanistan ist auf dem höchsten Stand seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 gestiegen. Entsprechend der neuen Strategie von US-Präsident Barack Obama greifen amerikanische und britische Truppen die Taliban in ihren Hochburgen im Süden des Landes an. Die Zahl der getöteten ausländischen Soldaten erreichte im Juli mit mindestens 71 einen neuen Höchststand.

Die Sicherheitslage im Süden des Landes ist eine größten Bedrohungen für die Wiederwahl von Präsident Hamid Karzai, der als klarer Favorit ins Rennen geht. Eine niedrige Wahlbeteiligung im Süden würde Experten zufolge eine Stichwahl wahrscheinlicher machen. Damit könnte einer der wichtigsten Herausforderer Karzais, etwa der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah oder der frühere Finanzminister Ashraf Ghani, eine Koalition zur Ablösung Karzais bilden.

Das afghanische Verteidigungsministerium erklärte indes, die einheimischen und ausländischen Truppen stünden bereit, die bevorstehenden Wahlen zu sichern. Es sei jedoch noch unklar, wie viele Wahllokale in den unsicheren Gebieten geschlossen bleiben müssten.

Karzai kündigte indes an, die Friedensgespräche mit den Taliban und anderen Aufständischen zu intensivieren, sollte er die Wahlen gewinnen. Der neue NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte, er befürworte entsprechende Verhandlungen. Sie müssten jedoch von der afghanischen Regierung und aus einer Position der Stärke heraus geführt werden, betonte er. Die militärischen Anstrengungen dürften nicht verringert werden. (APA/Reuters)