Warschau - Der spätere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski wurde 1989 vom Geheimdienst SB ausspioniert, obwohl er selbst zum Führungszirkel der kommunistischen Staatspartei PZPR (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) gehörte. Aus entsprechenden Unterlagen des Geheimdienstes zitierte die Zeitung "Dziennik". Vor allem suchte der SB demnach nach kompromittierenden Informationen, darunter nach Hinweisen auf angebliche jüdische Vorfahren.

Die Dokumente rekonstruieren den Lebenslauf Kwasniewskis Vater Zdislaw, der vor dem Krieg Briefträger war. "Wenn wir die Hypothese annehmen, dass sein Vater der jüdischen Nation angehört, so kann doch Kwasniewski selbst nach den Grundsätzen des Judentums nicht als Angehöriger dieser Nation betrachtet werden", heißt es in den Unterlagen. Die Spitzel sollen in Erfahrung gebracht haben, dass er engen Kontakt zu jüdisch-stämmigen Polen gehabt habe.

Das Interesse des Geheimdienstes an Kwasniewski erwachte vor den ersten halbfreien Wahlen im Juni 1989, offenbar als Element des Machtkampfes in der PZPR. Kwasniewski war damals Sportminister, er traf sich mit Vertretern der Opposition und dem damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow. Nach Ansicht des Historikers Antoni Dudek vom Institut für das nationale Gedächtnis (IPN) waren die Berichte über ihn für den damaligen Innenminister Czeslaw Kiszczak bestimmt. Kiszczak bestritt gegenüber "Dziennik", die Dokumente zu kennen.

Als "unvorstellbaren Skandal" bezeichnete Wojciech Jaruzelski, damaliger PZPR-Generalsekretär, die Bespitzelung von Kwasniewski. Der Geheimdienst habe sich wie ein "Staat im Staate" benommen. Er sei "erschüttert und empört", so Jaruzelski.

Kwasniewski nahm zwischen Februar und April 1989 auf der Seite der Regierung an den Gesprächen am Runden Tisch mit der Opposition teil. Er galt als Reformer in der kommunistischen Führung. Zwischen 1995 und 2005 war er polnischer Präsident.

Kwasniewski wurde in den vergangenen Monaten auch in einem anderen Zusammenhang mit dem Geheimdienst SB genannt. Ihm wurde wiederholt vorgeworfen, als inoffizieller Mitarbeiter "Alek" Spitzeldienste geleistet zu haben. Zuletzt warf ihm dies IPN-Chef Janusz Kurtyka vor. Kwasniewski bestreitet den Vorwurf. Das IPN plant in Kürze die Veröffentlichung eines Buches über Kwasniewskis Kontakte zum SB. (APA)