Am Hindukusch werde die westliche Demokratie verteidigt: Damit wurde und wird der Nato-Einsatz im Rahmen der Afghanistan-Schutztruppe Isaf begründet. Wenn das stimmt, dann ist es um die westliche Demokratie schlimm bestellt. Die radikalislamischen Taliban sind wiedererstarkt und haben der Isaf im Juli die schwersten Verluste seit Beginn der Offensive nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 in den USA zugefügt.

Zugleich schwappt der Krieg immer mehr nach Pakistan über. Das Ziel der Mission, Afghanistan (und Pakistan) als Plattform des internationalen Terrorismus auszuschalten, wurde also klar verfehlt. Der Konflikt sei militärisch nicht zu lösen, heißt es jetzt in Washington unter der Obama-Administration wie auch in den Brüsseler Planungsstäben der Nato. Es müsse viel stärker die zivile Komponente einbezogen werden, mit dem Ziel, die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern.

In Kenntnis der Geschichte Afghanistans, seiner Stammesgesellschaft, seiner Geografie wundert man sich, wie lange es gebraucht hat, bis sich diese Binsenweisheit erneut durchsetzt. Dass sich schon britische und sowjetische Besatzer blutige Nasen am Hindukusch holten, war offenbar im Eifer des Gefechts wieder vergessen worden.

Auch wenn das Pathos von der Verteidigung des Westens am Hindukusch überzogen erscheint: Afghanistan bleibt der Angelpunkt für die Zukunft der Nato. Eben weil der Konflikt die Ohnmacht eines rein militärisch ausgelegten Bündnisses gegenüber Bedrohungen wie Extremismus und Terrorismus offenlegt.

Das gültige strategische Konzept der Allianz stammt aus dem Jahr 1999, also aus der Zeit vor 9/11. Der neue Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat eine Expertengruppe unter Vorsitz der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright zur Entwicklung eines neuen Konzepts eingesetzt. Und: Er will „die Meinungen der Öffentlichkeit dazu hören, was die Nato sein sollte".
Die Debatte ist überfällig. Die Nato wurde als Instrument des Kalten Krieges gegründet.

Diese Gründungsphilosophie hat sich längst überlebt. Und gerade Versuche, den Kalten Krieg wiederzubeleben - von russischer, aber auch von US-Seite unter der Bush-Administration -, haben gezeigt, dass sich die westliche Allianz in ihrer gegenwärtigen Form kaum zur Krisenvermeidung, geschweige denn Krisenbewältigung eignet. Das wurde im Georgien-krieg vor einem Jahr überdeutlich. Letztlich musste die EU als Vermittler einspringen, um dem Westen eine moralische Niederlage zu ersparen.

Dieser Fall markiert einen anderen wunden Punkt der Nato: die Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden, in erster Linie natürlich durch die dominante Macht USA. Mit einer raschen Aufnahme Georgiens in die Allianz wollten Hardliner der Regierung Bush dem von Wladimir Putin betriebenen neuen russischen Imperialismus eine Lektion erteilen. Das Ergebnis ist eine Lektion für die Nato.
Sie wird hoffentlich auch daraus lernen. Rasmussen strebt, bei aller zu Recht betonten Prinzipienfestigkeit in Fragen von nationaler Souveränität und Entscheidungsfreiheit, eine echte strategische Partnerschaft mit Russland an. Das wird umso eher gelingen, je stärker die Allianz sowohl in ihrer inneren Struktur als auch in ihrem Auftreten nach außen die zivile Komponente betont. Sich also als eine Wertegemeinschaft präsentiert, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie weit engagierter als bisher auch mit nichtmilitärischen Mitteln verfolgt.

Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Dass mit der Türkei eines der größten Nato-Länder islamisch geprägt ist, macht die Herausforderung - und den Erfolgszwang - umso größer. (Josef Kirchengast, DER STANDARD Printausgabe 4.9.2009)