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Nur wenig unterscheidet Stefan Herheims Bayreuther „Parsifal" bei der Wiederaufnahme von der letztjährigen Fassung: Noch immer singt Christopher Ventris im Matrosenanzug.

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Die Bayreuther Festspiele gehen unter neuer Leitung in diesem Jahr ohne Neuproduktion ihren gewohnten Gang.

Bayreuth - Mit der Wiederaufnahme des Parsifal, der im letzten Sommer nach nur vier Jahren und ohne Pause auf Christoph Schlingensiefs assoziative Bilderflut gefolgt war, ist auch das übrige Programm des laufenden Festspieljahrgangs ohne Neuproduktion heuer einmal durch.

Am Eröffnungstag gab es noch vor den ersten Tönen zu Christoph Marthalers Tristan-Inszenierung etwas Neues: Da standen nämlich die beiden Töchter des Langzeitintendanten Wolfgang Wagner, Eva und Katharina, das erste Mal gemeinsam auf dem Treppchen der Edelscheune im Fränkischen, um das Eröffnungsdefilee abzunehmen - mit einiger Erleichterung, denn sie hatten gerade ihre erste Hürde geschafft.

Ein - bisher undenkbarer - angedrohter Streik des technischen Personals war kurz vorher abgewendet und die überfällige Angleichung an das bei Staatstheatern übliche Lohnniveau von der Gewerkschaft, den Festspielgremien und den öffentlichen Geldgebern durchgewinkt worden. Danach konnte sich Katharina die abonnierten Buhs, aber auch aufgeschlossenen Beifall für ihre historisch aufgemischten Meistersinger abholen.

Zustimmung für Thielemann

Beim Ring schließlich, dessen szenische Version von Tankred Dorst wohl nicht mehr zu retten ist und den man wohl am liebsten schnell wieder los wäre, holte sich wenigstens Christian Thielemann erneut die Unisono-Zustimmung ab. Unter den Wagnerenthusiasten ist das, was man ihm gerade im Zusammenhang mit seiner ziemlich geräuschvollen Aufkündigung des Vertrages als GMD mit den Philharmonikern in München vorgeworfen hat - seine Vorliebe fürs deutsche Kernrepertoire - eine adelnder Vorzug.

Die erste Parsifal-Reprise im 98. Festspieljahrgang lag am Samstag in den Händen von Daniele Gatti, der mit seinen langsamen Tempi zwar jene betörenden Parsifal-Momente produzierte, die wohl nur in diesem Haus möglich sind, der damit aber auch die aufgeladene Szene konterkarierte. Zur restlosen Begeisterung fehlte es dann doch an dramatischer Spannung. Aber immerhin machten Christopher Ventris als Parsifal mit Kondition und Strahlkraft, Mihoko Fujimura als nur in der Höhe etwas angestrengte Kundry, Detlef Roth als überzeugend leidender Amfortas, Thomas Jesatko als Klingsor mit Marlene-Dietrich-Beinen und Kwangchul Youn als solider Gurnemanz eine überzeugende Figur.

Es ist schade, dass es wohl ausgerechnet von Stefan Herheims Ritt durch die Geschichte Deutschlands und des Hauses Wahnfried keine DVD-Einspielung geben wird: Die Rezeptionsgeschichte des Parsifal ist zugleich ein Diskurs über fehlgeleitete erotische Kraftströme in einer von Männern dominierten und pervertierten Gesellschaft.

Herheim und seine auf Opulenz und Theatermagie spezialisierte Bühnenbildnerin Heike Scheele haben einen Ideen- und Bildervorrat verbraucht, der normalerweise mindestens für einen ganzen Ring reichen würde. Zwei Weltkriege in einem Klingsor-Akt - das muss man erst einmal hinkriegen. Und die Verwandlungen der Villa Wahnfried von drinnen nach draußen, den Uraufführungsgralstempel, den großen Zusammenbruch und dann, nach dem Trümmerfraueneinsatz, den Wechsel in den Bonner Bundestag; wobei der Schluss auf der Bühne dann so utopisch vage und unbestimmt bleibt wie das Leben. Überarbeitet hat Herheim weniger als er eigentlich wollte - auch die Schwestern achten aufs Werkstattbudget. 

Und eine echte Premiere gab es dann doch noch: Die Inszenierung des Fliegender Holländers für Kinder, unter eifriger interaktiver Teilnahme der Jüngstwagnerianer zwischen sechs und zehn Jahren. Ein Rest dieser Lust, dazwischenzugehen, hält sich auch bei den Altwagnerianern. Die wissen nämlich ganz genau, wie es eigentlich gehen müsste. Und einige haben diesmal, anders als im Vorjahr, vor allem nach dem hochpolitischen zweiten Aufzug mit seinen Hakenkreuzfahnen über Wahnfried kräftig gebuht. Die Wagnerwelt ist also halbwegs in Ordnung. (Joachim Lange, DER STANDARD/Printausgabe 4.8.2009)