"Reden wir über Ihre Rede in Salzburg, Frau Ministerin" : Die Autorin Marlene Streeruwitz (re.) im Gespräch mit Claudia Schmied (Mi.).

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STANDARD: Wie jeden Sommer zelebriert die Hochkultur ihre Hochzeit. Frau Ministerin, Sie haben bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gesagt: "Die Kunst ist gefordert, an der Macht zu rütteln" - und dann?

Schmied: Die Kunst soll uns aufrütteln. Ich habe einen sehr positiven Bezug zur Macht im Sinne von Entscheidungsmacht und Umsetzen. Aber nach zweieinhalb Jahren als Ministerin spüre ich eine latente Gefahr, dass doch immer wieder Dinge ausgeblendet werden, nicht immer alles auch authentisch bis zu mir kommt. In dem Sinne braucht die Gesellschaft immer wieder ein Korrektiv. Der Kunst kommt da eine große Aufgabe zu. Ich habe das in meinem bisherigen Berufsleben im Bankbereich stark als Manko erlebt und mir immer gedacht: Wieso gibt's da so wenig Kritik am Wirtschaften, an den Koordinaten, wonach optimiert wird, an der Formelgläubigkeit?

Streeruwitz: Da sind wir schon bei den Festspielen. Weil die ganz sicher diesen Hegemonien zuzuzählen sind, in denen es ja als unkünstlerisch angesehen wird, dass die Wirtschaftlichkeit bedacht wird. Ich glaube, dass es überhaupt erst mit dem Feminismus begonnen hat, zu fragen, woher kommt das Geld, dass Leute so und so leben müssen? Wie reflektiert das die Machtstruktur? Wenn Sie den Jedermann genau lesen, stellen Sie fest, dass am Ende der reiche Mann mit großem Trara und der Hilfe von vielen schönen Frauen ins Grab getragen wird, aber der Schuldner bleibt im Schuldturm und seine Frau wird auf den Strich gehen müssen, um ihre Kinder ernähren zu können. Ich halte das für sehr symbolisch. Und da frage ich mich, wie Sie das eröffnen können. Was tun Sie, um dem An-der-Macht-Rütteln einen Platz zu verschaffen?

Schmied: Genau so eine Rede halten zum Beispiel. Wir sehen in der Literatur ja vor allem die Auswirkungen. Das Haushaltsgeld ist dann gottgegeben, der eine hat's, der andere nicht, daraus folgt die Handlung. Ich wollte schon im vergangenen Jahr noch vor der Finanzkrise - von Peter Turrini geschrieben - das Buch Liebe Aktionäre. Und zwar so, dass schon die Entstehung thematisiert wird. Das findet sich in der Literatur kaum.

STANDARD: Was bedeuten die Salzburger Festspiele - Motto 2009: "Das Spiel der Mächtigen" - für Sie? Rütteln können sie ja, die Künstler, aber das Spiel geht ungestört weiter?

Streeruwitz: Die Hochkultur in Österreich ist eine Selbsthilfegruppe der Eliten. Und die wollen unter sich bleiben. Da könnten wir uns jetzt den Nerz anziehen und ein Krönchen aufsetzen, es würde uns nichts helfen. Sie wollen nur das hören, was sie hören wollen. Für mich ist die entscheidende Frage: Wie sind die Berufsbedingungen für künstlerisches Schaffen, dass man und frau auch rütteln kann? Ich habe das Gefühl, dass sich eigentlich niemand dafür interessiert. Wie leben wir? Was heißt das, dass ich als Unternehmerin versteuere? Wir sind von Beratungsfirmen abhängig geworden, weil wir unsere Sozialversicherungsfragen nicht mehr allein lösen können. Das ist die neue Zensur. Da ist das mit dem Macht-Rütteln ...

Schmied: ... fast zynisch. Der Punkt ist: Wer bekommt mit welchem Thema Öffentlichkeit? Ich habe das ja selbst erfahren im Schulbereich, wo ich mich quasi gegen die allmächtige Lehrergewerkschaft gestellt habe. Da war es auch interessant zu sehen, wer äußert sich wann mit welchen Intentionen, wer hilft mir wann? Die Besitzstandswahrer sind sehr laut. Die, die Veränderung wollen, werden leise, wenn das Risiko größer wird. Und ich kenne nur wenige, die authentisch zu ihrem Willen stehen, wenn sie befürchten, es sich mit Mächtigen zu verscherzen.

STANDARD: Wie würden Sie die Verantwortung der Politik definieren?

Streeruwitz: Erstaunlicherweise würde ich sagen, die Bankerin muss mehr hervorkommen. Die Gestaltungslust. Das fände ich das Lustigste an so einem Job. Aus einer erworbenen Kenntnis über die Künstlerinnen und Künstler herauszufinden, welche Möglichkeiten es gäbe. Das Armenhaus der Künstler ist so bedrückend, dass es ja fast schon eine Abwertung ist dazuzugehören.

STANDARD: Laut dem Bericht "Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich" ist deren Armutsgefährdungsquote dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (37 zu 12,6 Prozent).

Schmied: Der Bericht ist wichtig, aber viel wichtiger ist, was folgt. Wir hatten eine Konferenz, eine Arbeitsgruppe arbeitet zu sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen. Was mir aber immer stärker bewusst wird, ist: Ja, es ist ein Thema, das die Künstler sehr betrifft, aber es ist ein Thema, wo wir als Gesellschaft Antworten brauchen. So wie man früher überlegt hat:Wie kommen wir über die Risken des Lebens mit Arbeitslosen-, Kranken-, Pensionsversicherung, um so den Menschen die Lebensgrundlage zu ermöglichen? Die Arbeitsbedingungen ändern sich nicht nur für Künstler radikal. Das sprengt die Kunstbudgets. Da helfen Förderungen strukturell nicht weiter.

Streeruwitz: Es ist ein kulturelles Problem des Werts des Lebens, weil sich der über die Rahmenbedingungen herstellt. Rahmenbedingungen beschreiben am deutlichsten, was eine Gesellschaft von einer Person hält. Für mich ist Kunst radikal dazu da, die Wahrheit zu suchen. Das betrifft die Bildungspolitik und die Kunst.

STANDARD: Was kann die Bildungs- und Kunstministerin da anbieten?

Schmied: Mir ist sehr wichtig, dass es uns gelingt, Kunst und Kultur nicht zu reduzieren auf das Hochglanzfestspielereignis, sondern bewusst zu sagen: Wir wollen Kultur und Kunst in hoher und höchster Qualität, aber nicht als Programm der Eliten. Da sind die Kunstschaffenden wichtige Bündnispartner, etwa für mein Programm Kunst macht Schule. Schulen gehen Partnerschaften mit Künstlern ein. Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Tänzer arbeiten mit Schülern und Lehrern. Räume zu eröffnen ist eine wichtige Aufgabe von Politik. Abgesehen davon, dass diese Projekte für Künstler auch Einkommen schaffen, was wichtig ist. Das muss man unverkrampft diskutieren. Darum stocke ich jetzt auch Förderungen auf, denn das schafft Öffentlichkeit und einen Marktplatz auch für Künstler.

Streeruwitz: Genau darum ist eine Inszenierung wie in Salzburg für mich kulturell einfach gespenstisch. Und ich nehme eine linke Partei, die der Realität verpflichtet ist und nicht einer Wertediskussion, in der die Leute, die nicht dazugehören, einfach ausgestoßen werden, da besonders in die Verantwortung.

STANDARD: Ist die SPÖ "links" ?

Schmied:Ich leite mein Politikverständnis von Haltungen, Werten, Menschenbildern ab. Armutsbekämpfung, Chancengleichheit, gerechte Wohlstandsverteilung und das Ziel einer lebendigen Kunst- und Kulturlandschaft, die für möglichst viele Menschen zugänglich ist, sind für mich Eckpfeiler sozialdemokratischer Politik. Wenn Sie "links" so definieren, dann ja.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Roman "Kreuzungen" 2008 fast prophetisch das Thema Wirtschaftskrise behandelt. Es geht um einen Milliardär, der am Ende Künstler wird. Was lernen wir aus der Krise?

Streeruwitz: Dass alles falsch gemacht wurde. Deregulierung, die Globalisierung der Finanzmärkte und der Rückzug des Nationalstaats sind politische Entscheidungen der Vergangenheit und keine "natürlichen" Folgen einer "Natur" des Wirtschaftlichen. Der Ausschluss von Parlamenten, Konsumenten und Arbeitnehmern aus dem Finanzmarkt ist kein Vorgang, der wie das Wetter über eine Kultur hereinbricht. Eine demokratische Legitimierung der Finanzmarktregulierung wäre ein Anfang.

Schmied: Das Primat des Politischen ist gefragt. Wir brauchen einen starken öffentlichen Sektor. Was mich derzeit besonders beschäftigt, ist die Frage: Wer baut als Nächstes die Paläste? Wenn wir sagen: Dort, wo die Macht ist, entstehen die Paläste. Bis vor kurzem waren es Versicherungen und Banken, die die höchsten Türme mit den Glasfassaden bauten.

Streeruwitz: In London sind es die Shopping-Kanäle, die das haben, was man einen Palast nennen könnte, golden und riesengroß. Es wird viele Paläste geben. Im Übrigen bin ich natürlich der Meinung, es sollte gar keine Paläste geben.

Schmied(lacht): Das ist gut, ja!

STANDARD: Frau Streeruwitz, Sie übten scharfe Kritik an der schwarz-blauen Regierung. Was sagen Sie zur amtierenden rot-schwarzen?

Streeruwitz: Was die rechte Regierung so perfekt geschafft hatte, war die Abtrennung des Parlaments vom Souverän - etwa durch das Regieren ohne Begutachtungsverfahren. Heute ist das Parlament mit der Bewältigung der großen Partnerprobleme der großen Koalition beschäftigt, also damit, wie Partikularinteressen der Regierung gegenüber angemeldet werden können. Dass die Interessen des Souveräns zu vertreten wären, ist einfach vergessen. Das Parlament ist - neben der Hochkultur - nur eine der vielen Selbsthilfegruppen von Eliten, wie sie die österreichische Politik als Erbe aus dem Austrofaschismus so gerne begründet.

STANDARD: Bitte ergänzen Sie: Wenn ich Kulturministerin wäre...

Streeruwitz: Hätte ich einen Künstler-Jour-fixe und würde versuchen, eine Kultur der Kritik zu implementieren, die praktische Folgen hat. Ich würde damit vollkommen scheitern. Keine Frage. Aber ich hätte keine Zeit, Selbstbeweihräucherungstage der Hochkultur zu eröffnen und würde kein Steuergeld in die fragwürdige Umwegrentabilität von Kunststreichelzoos wie in Salzburg versenken.

STANDARD: Frau Ministerin: Wenn ich Autorin wäre, ...

Schmied: Würde ich endlich das Buch "Liebe Aktionäre" schreiben.

(Moderation: Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.8.2009)