Telekinesis!: "Telekinesis!"
Eigentümlich - manchen Songs, die sachte akustisch klampfend beginnen, hört man's einfach ab dem ersten Takt an, dass das nicht alles war, sondern gleich der Strom angeschlossen wird: So bei Song 2 ("Coast of Carolina") auf dem Debütalbum von Telekinesis!, der erst im Vorjahr "gegründeten" Einmannband von Michael Lerner aus Seattle. Und dabei hatte Michael zur Tarnung sogar ein ruhiges Americana-Stück ("Rust") an den Anfang gestellt. Dann aber ... ja, wie gesagt: Das fröhliche Losrumpeln, das den weiteren Sound bestimmt und eher an Nada Surf und College-Rocker der 90er Jahre erinnert als an aktuelle Gitarrenpop-Moden, erwartet man schon irgendwie. - Die beiden genannten sind übrigens zwei von geschätzten zwölf Ohrwürmern auf "Telekinesis!": keine schlechte Quote für ein Album mit elf Stücken und fünf Bonustracks. (Morr/Hoanzl)

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Telekinesis!

Coverfoto: Morr

Matt & Kim: "Grand"
Das Video zu "Lessons Learned", in dem Matt (Johnson) & Kim(berley Schifino) strippend über den frostigen New Yorker Times Square ziehen, hat der eine oder andere vermutlich schon gesehen. Mit "Grand" legt das Duo aus Brooklyn sein zweites Album vor und ... mal sehen: Ein gemischtes Doppel im DIY-Sound, der ausschließlich auf Schlagzeug und Keyboard fußt, aufgekratzter Gesang aus beiden Kehlen, Uptempo bis der Arzt kommt ("Don't slow down!!!") und eine supersympathische Gesamterscheinung. Man könnte Matt & Kim glatt neben die an dieser Stelle schon oft gelobten Mates of State für ein Fehlersuchbild stellen. Und wenn man genau hinschaut, findet man den einen Unterschied: Hier drischt sie die Drums. - Aber eigentlich könnten ruhig noch fünf bis zehn weitere Bands diesen Zuschnitts loskrähen - so schnell nutzt sich der Sound nicht ab. Knaller!  (Nettwerk/Soulfood)

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Matt & Kim

Coverfoto: Nettwerk

"Esther Ofarim in London"
1972 war die Israelin Esther Ofarim ("Cinderella" ...) - zu dem Zeitpunkt längst ein Star in Deutschland - erstmals ohne ihren Abi (... "Rockefella") unterwegs und nahm einige Gassenhauer ihrer Zeit auf. Da die heute 68-jährige Esther wirklich singen kann, erhalten Songs wie Cohens "Suzanne" einen (vermeintlichen) Drall ins Musical-hafte. Doch getragen von den erhabenen Orchester-Arrangements Bob Johnstons lebt Esther Ofarim auf ihre ganz eigene Art den Blues - und bei "You're Always Looking For The Rainbow" weinen selbst die Steine. - In seiner rühmenswerten Aufarbeitung deutscher Musikgeschichte ist das Label Bureau B bislang zweigleisig gefahren: Zum einen Easy Listening aus den 60ern und frühen 70ern (durchaus mit Substanz, wie etwa hier), zum anderen Avantgardistisches von Faust bis Palais Schaumburg. Inzwischen erweitert sich der Ansatz, siehe nächstes Bild --> (Bureau B/Hoanzl)

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Esther Ofarim

Coverfoto: Bureau B

39 Clocks: "Pain It Dark"
In den 80ern bildeten Christian Henjes und Jürgen Gleue aus Hannover die neben den Kastrierten Philosophen bekannteste neo-psychedelische Band aus Deutschland. Und waren sowas wie der Inbegriff von Underground. "Pain It Dark" (1981) war ihr erstes Album und enthielt bereits alles, was die Clocks bis zur Band-Auflösung 1987 auszeichnete: Garage-Beat als Grundlage, die ausgedünnt, zerdehnt und verzerrt wurde, ein hypnotisierendes Dreieck aus Gitarren, Beatbox und stocknüchternem Gesang - und sogar die obligatorische Quote von einem klassischen Sixties-Cover pro Album wurde hier mit der erbarmungslosen Phil Medley-Bearbeitung "Twisted & Shouts" bereits eingehalten. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis andere Bands mit Bezügen auf Suicide und Velvet Underground die große Kohle machten. Dafür bleibt das nun als Sammler-Ausgabe neuveröffentlichte "Pain It Dark" in seiner monochromen Kompromisslosigkeit bis heute ein Meilenstein. (Bureau B/Hoanzl)

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Bureau B

Coverfoto: Bureau B

Felix da Housecat: "He Was King"
Hurra, hurra, täterätä! Felix da Housecat ist zurück - da kann mir auch die vernichtende "Pitchfork"-Rezension von "He Was King" nicht die Laune verhageln (außerdem kapier ich sie nicht ...). Der zwischen Electroclash und House auf allen Hochzeiten tanzende (aber immer tanzende) Chicagoer gibt sich auf seinem neusten Werk so poppig wie seit "Kittenz and Thee Glitz", der vielgerühmten 2001er Kooperation mit Miss Kittin, nicht mehr. Ob souveränes Instrumental ("Elvi$"), cheesy Frauengehauche im Hintergrund ("Plastik Fantastik") oder Tributes an Human League ("Do We Move Your World", "Spank U Very Much") und Prince ("Do Not Try This At Home" und das Titelstück): "He Was King" nimmt sich selbst keineswegs ernst und macht Beine. (Nettwerk/Soulfood)

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Felix da Housecat

Coverfoto: Nettwerk

2raumwohnung: "Lasso"
"36 °", das vorangegangene Album von 2raumwohnung, war eine Studie in Trägheit - durchaus beabsichtigt, aber selbst gewollte Trägheit ist immer noch ... naja, träge eben. (O-Ton Marcel Reich-Ranicki mit Ätzstärke 10: "Das Buch will ja langweilig sein!"). Also haben sich Inga Humpe und Tommi Eckart beizeiten wieder aus den Liegestühlen bequemt und Schwung gesammelt. Auf "Lasso" reichern sie ihren Elektropop mit allem Möglichen an: Euro-Hillbilly,  Flamenco- und gar ein Bolero-Einsprengsel, verstärkter Schlagzeugeinsatz, Geigen-Pizzicato und - huch! - alpenländische Volksmusik ("Angel of Germany" heißt das melancholische Stück über eine Stripperin in der Fremde und ist gar nicht mal schlecht). Die Rhythmusgitarre stellt die Keyboards fast durchgängig in den Hintergrund - und natürlich tropft Ingas Stimme wieder wie Nektar aus dem Lautsprecher. "Lasso" ist eine gelungene Kehrtwende: Nach dem Spiel ist vor dem nächsten - ja, und diesmal gewinnen sie. (EMI)

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2raumwohnung

Coverfoto: EMI

Mathieu Boogaerts: "I Love You"
Zwei Schritte vor, einer zurück, eineinhalb nachgerückt - so tänzelt einem Mathieu Boogaerts vor der Nase herum, und alles in allem klingt das wie ein schüchterner Anmach-Versuch. Selbst wenn er "All I wanna do is to forget you" singt. Oder gerade dann. - Für sein fünftes Studioalbum hat der Franzose das Schlagzeug für sich entdeckt, und dessen Möglichkeiten nützt er nun nach allen Regeln der Kunst aus: "I Love You" enthält mehr stolpernde Rhythmuswechsel als eine ganze Staffel "Dancing Stars". Bemerkenswert minimalistisch das übrige Instrumentarium (wie auch die gewohnt hühnerbrüstigen Vocals) - Boogaerts versteht es, mit geringstem Materialaufwand ein Feuerwerk abzubrennen und hat sich endgültig den Titel quirligster Vertreter des Neo-Chansons verdient.  (Le Pop Musik/Hoanzl)

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Mathieu Boogaerts

Coverfoto: Le Pop Musik

"The World According to Brent Hunter vs. Nina Ramsby"
Ein Album, das seine Produktionsbedingungen widerspiegelt: "Ein Großteil von "The World ..." ist entstanden, indem sich Brent Hunter aus Nashville und Nina Ramsby (links im Bild) aus Stockholm Soundentwürfe zugeschickt und sie wechselseitig bearbeitet haben. Und in der Tat erinnern die 22 ozeanisch ruhigen Electronica-Stücke an Datenpakete, die unter kilometertiefem Wasser durch endlose Meilen transatlantischer Kabel spuken - gespenstisch schön. Ninas Gesang, auf halbem Weg zwischen Niobe und Dido angesiedelt, verstärkt die Atmosphäre von Einsamkeit, Melancholie und ungestillter Sehnsucht noch - aber zumindest musikalisch ist das schwul-lesbische Duo zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen. (Brus och Knaster/Import)

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The World

Coverfoto: Brus & Knaster

Deastro: "Moondagger"
Das Auge ist geneigt, automatisch Desastro zu lesen, aber das astro hat schon seine Berechtigung: Nicht nur durch den Synthesizer-Einsatz zieht sich das Flair von "Raumpatrouille Orion", auch die Songtexte wimmeln vor Science Fiction-Motiven. Mit 23 der Enkel-Generation von Thomas Dolby angehörend, wandelt Randolph Chabot aus Detroit mit seinem hyperaktiven Rokoko-Pop ganz auf Opas Spuren. Und wie beim Sound-Ahnen beginnt einem da mit der Zeit ganz schön der Kopf zu schwirren. Daher als Einstiegshilfe hier zunächst die simpler gestrickten Tracks genannt: "Tree Frog" und das Stück mit dem famosen Titel "Daniel Johnston Was Stabbed In The Heart With The Moondagger By The King Of Darkness And His Ghost Is Writing This". (Ghostly International/Hoanzl)

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Deastro

Coverfoto: Ghostly International

Katzenjammer: "Le Pop"
Die Akkordeon-Overtüre von "Le Pop" stimmt bereits schonend darauf ein, wie die vier Norwegerinnen Solveig, Turid, Anne Marit und Marianne ihr Projekt Katzenjammer angelegt haben. Ein Vorbeben gewissermaßen für ein Hullabaloo aus Mariachi-Trompeten (teilweise im Zeitraffer geblasen), Zirkusorgeln, Fiedeln, Banjos und Schifferklavieren - kurz: allem was sich zum Thema Kaschemmenmusik assoziieren lässt. Gesanglich wird auch mal auf verruchte Barfliege gemacht ("Virginia Clemm", "Mother Superior"), aber gleich darauf reißt die nächste Hochtempo-Stelle unter Ha! Hu!-Rufen und einem Mädchenchor, der wie lustvoll verloren gegangene Seelen heult, jede Besinnlichkeit davon. Katzenjammer lassen an die Dresden Dolls denken, wenn diese den Rock-Kontext gegen Humppa getauscht hätten. Manche Melodie gleitet zwar auch in brave Untiefen ab - dafür klingt das leicht wahnsinnige Titelstück so, als wären die vier gerne mal mit den Sparks und den Pogues saufen gegangen, um sich dann von einem Kettenkarussell aus im Weitkotzen zu üben. Geniale Nummer! (Nettwerk/Soulfood)

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Katzenjammer

Coverfoto: Nettwerk