Wien - ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger verteidigt den von seiner Partei durchgesetzten Beschluss einer Sparvariante bei der Mindestsicherung. Kaltenegger sagte im Ö1-Morgenjournalinterview, dass die am Sonntag von ÖAAB-Generalsekretärin Beatrix Karl vorgeschlagenen Nachbesserungen nicht nicht in Frage kämen. Der Beschluss der Bundesregierung sei in Ordnung und gelte. Auch der ÖAAB sei über die Pläne informiert gewesen. Das sei "keine Frage des Budgets, sondern des Gesamtsystems - alle Kräfte zu bündeln, um Arbeitskräfte zu schaffen".

Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer möchte nicht neu über die Mindestsicherung bzw. die Anzahl der Auszahlungsraten verhandeln. "Ich bekenne mich zu diesem Regierungsbeschluss", hielt er am Montag im Ö1-"Mittagsjournal" fest.

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Kritik an der Kürzung der geplanten Mindestsicherung kommt nun auch aus dem ÖVP-Arbeitnehmerflügel. Die neue ÖAAB-Generalsekretärin Beatrix Karl plädiert dafür, die Mindestsicherung wie ursprünglich geplant mit 14 Monatsraten auszuzahlen. Die SPÖ zeigt sich gesprächsbereit. Der ÖAAB hat sich jedoch mit seiner Hoffnung auf eine Nachbesserung der Mindestsicherung schließlich eine Abfuhr bei ÖVP-Generalsekretär Kaltenegger geholt.

Karl: "Eigentlich haben wir mit den 14 Mal gerechnet"

Dass die 733 Euro Mindestsicherung als soziale Hängematte interpretiert werden könnte, glaubt Beatric Karl nicht. "So hoch ist die Summe auch nicht", betont Karl. Die Differenz zwischen Arbeitseinkommen und Mindestsicherung sieht sie durch den 1.000 Euro Mindestlohn gewahrt.

Die Kürzung der Mindestsicherung auf zwölf Monatsraten war für Karl "überraschend". "Eigentlich haben wir mit den 14 Mal gerechnet", betont die ÖAAB-Generalsekretärin. Sie hofft noch auf eine Nachbesserung. "Es wurde jetzt scheinbar diese Einigung erzielt, aber ich weiß nicht, ob da schon das letzte Wort gesprochen ist", so Karl. Sollte eine Nachbesserung nicht möglich sein, dann sieht Karl die zwölf Monatsraten als "ersten Schritt": "Und wir werden sehen, vielleicht schaffen wir es in Zukunft, auf die 14 zu kommen."

Als "soziale Hängematte" sieht die Arbeitsrechtlerin, die sich nach ihrer Bestellung zur ÖAAB-Generalsekretärin ab Herbst an der Universität Graz karenzieren lässt, die Mindestsicherung nicht. Sie verweist darauf, dass arbeitsfähige Mindesthilfe-Empfänger dem AMS zur Verfügung stehen müssen: "Wenn man ernsthaft die Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit mitberücksichtigt, dann habe ich kein Problem damit. Das muss aber gewährleistet sein."

Karl kompromissbereit

Bei der für Herbst geplanten Reform der "Hacklerregelung" (sie erlaubt noch bis 2013 den Pensionsantritt nach 45 Arbeitsjahren) gibt sich Karl kompromissbereit. Sollte dieses Modell künftig nicht mehr finanzierbar sein, kann sie sich ein Auslaufen vorstellen. "Zentrale ÖAAB-Forderung ist '45 Jahre sind genug'", so Karl. "Primär wollen wir natürlich schon, dass die Langzeitversichertenregelung aufrecht bleibt. Aber wenn es aus finanziellen Gründen keine andere Regelung gibt, wird man über Einschleifregelungen nachdenken müssen."

Ebenfalls für Herbst geplant ist die Reform der Invaliditätspension, also der Frühpension wegen Arbeitsunfähigkeit. Hier will Karl einerseits sicherstellen, dass nur tatsächlich arbeitsunfähige Menschen in Pension gehen. Andererseits will sie aber die Situation der ungelernten (Hilfs)arbeiter verbessern. Arbeitsunfähige Hilfsarbeiter haben derzeit kaum Chancen auf Invaliditätspension, weil sie auf jeden anderen theoretisch denkbaren Beruf verwiesen werden können.

In der Praxis bedeute das, dass invaliden Hilfsarbeitern häufig gesagt werde, sie könnten ja auch als Portier arbeiten - auch wenn es keinerlei freie Arbeitsplätze gebe, kritisiert Karl. Das sei kein "menschenwürdiger Umgang" mit den Betroffenen und außerdem eine bloße "Risikoverschiebung von der Pensions- in die Arbeitslosenversicherung". Daher strebt Karl auch für Hilfsarbeiter und Facharbeiter (sie können derzeit nur auf verwandte Berufe verwiesen werden) eine Regelung ähnlich wie bei den Angestellten an (sie haben eine Art Einkommensschutz).

SPÖ begrüßt Kritik

Die SPÖ begrüßt die Kritik von ÖAAB-Generalsekretärin Beatrix Karl an der Kürzung der geplanten Mindestsicherung. Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter bot dem Koalitionspartner am Sonntag "sofortige konkrete Verhandlungen" an. Schon in der kommenden Woche könnten die Nachbesserungen im Zusammenhang mit einer 13. und 14. Rate der monatlichen Mindestsicherung politisch außer Streit gestellt werden.

Kräuter hielt ÖVP-Obmann und Finanzminister Josef Pröll vor, die ursprünglich geplanten zusätzlichen Mittel zu verhindern. Pröll hatte von einer drohenden "sozialen Hängematte" gesprochen. Für Kräuter ist es nun notwendig, die genauen Bedingungen und Spielregeln der bedarfsorientierten Mindestsicherung stärker zu verdeutlichen: "Bei Arbeitsfähigkeit muss Arbeitswilligkeit die kompromisslose Voraussetzung für die Gewährung der Mindestsicherung sein. Die arbeitende Bevölkerung hätte keinerlei Verständnis für wie auch immer gearteten Missbrauch."

Informationskampagne gefordert

Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer fordert daher eine Informationskampagne der Bundesregierung um einerseits die Anspruchsberechtigten zu informieren, andererseits aber auch um jeglichen Anschein einer "Lizenz zum Nichtstun" auf Kosten der Allgemeinheit zu zerstreuen. Insgesamt handle es sich bei der beschlossenen Mindestsicherung um ein "europaweit vorbildliches Sozialprojekt", vergleichbar mit der Pflegegeldeinführung. "Ich kenne kein Land Europas, das angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise den sozial Schwächsten ein Verschlechterungsverbot garantiert", so der SP-Bundesgeschäftsführer.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) verteidigte unterdessen die Kürzung der Mindestsicherung weiterhin. Schon bei zwölfmal 733 Euro würden 75 Prozent aller Notstands- oder Sozialhilfebezieher mehr bekommen als derzeit, sagte er in der Tageszeitung "Österreich" (Sonntag-Ausgabe). Der Kreis der Bezieher würde sich so erweitern. Hundstorfer wäre es zwar "auch lieber, die Mindestsicherung würde 14 Mal ausbezahlt". Die Frage sei aber: "Erreicht man nur zwölfmal - oder gar keinen Beschluss?"

Soziallandesrat "unglücklich"

Der oberösterreichische Soziallandesrat Josef Ackerl richtete der Regierung, seiner Partei und dem Sozialminister aus, er sei "sehr unglücklich".

Ackerl ist nach eigenem Bekunden "erstaunt" über die "Kaltschnäuzigkeit, mit der über eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern hinweggegangen wird", sagte er im ORF-Radio. Anstatt das Thema "in einer Sitzung" abzuhandeln, hätte man wie die Krankenkassensanierung lieber verschieben und ausführlich verhandeln sollen, findet er.

Kaltenegger erteilt ÖVP-Arbeitnehmern Abfuhr

Generalsekretär Fritz Kaltenegger stellte am Sonntag in einer Aussendung - ohne den ÖAAB dabei konkret anzusprechen - klar, dass der Beschluss "von der Regierung gemeinsam gefasst worden" sei und daher auch gemeinsam getragen werde.

"Für die ÖVP ist es oberste Priorität, die Menschen in Beschäftigung zu halten. Deshalb darf auch kein finanzieller Anreiz geschaffen werden, Arbeitszeiten zu reduzieren oder aktive Arbeit gänzlich aufzugeben", so Kaltenegger in Richtung schwarze Arbeitnehmer. Die Regierungs-Einigung zur Mindestsicherung bringe zudem eine Vereinheitlichung und Vereinfachung. "Gerade in Zeiten der Krise müssen wir aber dafür Sorge tragen, dass es gar nicht erst so weit kommt, dass die Menschen darauf angewiesen sind, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen", hieß es weiter aus dem ÖVP-Generalsekretariat.

"Weitgehende" Berechnungen des Finanzministeriums

Ein Sprecher von Finanzminister Josef Pröll verwies indes auf "weitgehende Berechnungen" im Ressort: Demnach wäre in einigen Fällen Betroffenen eine Verringerung der Arbeitszeit bei gleichem Einkommen ermöglicht worden, der Staat aber wäre um Lohnsteuer umgefallen, so die Argumentation.

"Man muss das Abstandsgebot beachten", so Prölls Sprecher. "Unsere Experten haben sich sehr stark den Kopf zerbrochen, wie man unerwünschte Effekte vermeiden kann." Eine Modellrechnung der Finanzbeamten: Ein berufstätiger Vater (Gattin Hausfrau, drei Kinder) könnte von 40 auf 30 Wochenstunden reduzieren, durch die Mindestsicherung auf den gleichen Jahresnettobetrag kommen, aber weniger Lohnsteuer zahlen. Im Finanzministerium befürchte man einen "massiven Steuerausfall", wenn sich solche Fälle häufen würden. Und zudem könnte man ja auch "methodisch argumentieren", heißt es, denn Transferleistungen würden ja prinzipiell nur zwölfmal im Jahr ausgezahlt.

BZÖ: "Absurder Streit", Grüne: "Vorstoß der Vernunft"

Als "absurden Streit auf dem Rücken der Betroffenen" bezeichnete BZÖ-Generalsekretär Stefan Petzner die Diskussion. Er fordert die anderen Bundesländer auf, das "Kärntner Modell" der Mindestsicherung zu übernehmen. Dort gebe es keine "Gleichmacherei" wie beim Bundesmodell, meinte er. Hingegen würden Familien mit Kindern besser behandelt.

Die Grünen nannten die Kritik Karls einen "brauchbaren Vorstoß der Vernunft", dieser solle in der ÖVP nicht abgewürgt werden. Die SPÖ solle die Chance nützen und rasch neu verhandeln, so Vizeklubchef Werner Kogler. Er zeigte sich verwundert, dass "in der SPÖ jene immer lauter werden, die die Mini-Mindestsicherung verteidigen", in der ÖVP sei es hingegen umgekehrt.(red/APA)