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Zadek 2001 bei der Verleihung des Nestroy-Preises.

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Peter Zadek im Akademietheater, am 1. Oktober 1992
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Peter Zadek 1987 als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg

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Wien - "Hier kommt Gott", hatte Schauspielerin Maria Happel die Verleihung des "Nestroys" für das Lebenswerk an Peter Zadek im vergangenen Herbst in Wien angekündigt. Aber Gott sei überall und derzeit bei Proben in Zürich. Zadeks Abwesenheit hatte Laudator Matthias Matussek dann für sehr persönliche Worte genützt: "Du bist aus Prinzip nie in dem Verein, der dich aufnehmen will. Du bist immer gleichzeitig drinnen und draußen", so der ehemalige "Spiegel"-Kulturchef damals. Im Februar dieses Jahres feierte das Publikum Zadeks Inszenierung von George Bernard Shaws "Major Barbara" am Zürcher Schauspielhaus. Es war sein letzter Erfolg. In der Nacht auf Donnerstag, starb der Großmeister des Theaters im Alter von 83 Jahren in Hamburg.

Mit seinen Inszenierungen hat Peter Zadek Theatergeschichte geschrieben und dabei auch die Konventionen des bürgerlichen Bildungstheaters infrage gestellt. Mit Wien verband ihn einiges: Seine Burg-Inszenierung von "Der Kaufmann von Venedig" 1988, seine sensiblen Tschechow-Deutungen "Iwanow" (1990) und "Der Kirschgarten" (1996) wurden legendär. Aber auch Inszenierungen wie "Rosmersholm" (2000, auch als DVD erhältlich), "Der Jude von Malta" (2001), "Die Nacht des Leguan" (2002) oder "Der Totentanz" (2005) waren stets von der gesamten deutschsprachigen Theaterkritik mit größter Aufmerksamkeit verfolgt worden. Vergangenen Herbst erhielt Zadek, mit 21 Inszenierungen der am häufigsten zum Berliner Theatertreffen eingeladene Regisseur, den "Nestroy"-Preis für sein Lebenswerk.

Privileg und Tortur

Geboren wurde Peter Zadek am 19. Mai 1926 in Berlin. Als Jude musste er mit seinen Eltern 1933 nach England emigrieren, wo er in Oxford Germanistik und Romanistik studierte, in London am Old Vic Regieunterricht nahm und auch seine ersten Regiearbeiten herausbrachte (so inszenierte er 1957 die Uraufführung von "Der Balkon" von Jean Genet, der ihn bei der Generalprobe eigenhändig erschießen wollte), sich aber nie so recht heimisch fühlte. Ab 1958 lebte und arbeitete Zadek wieder in Deutschland, wo er bei Kurt Hübner in Ulm und Bremen erste Karriereschritte unternahm. Als Regisseur zunehmend gefeiert, waren dagegen seinen Intendanzen meist von heftigen Auseinandersetzungen überschattet und nie von langer Dauer: 1972-75 war er Generalintendant in Bochum, 1985-89 Leiter des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, und 1992-94 Mitglied des Direktoriums am Berliner Ensemble.

Unkompliziert war Zadek mit Sicherheit nicht. Seine Ziele verfolgte er konsequent, vor allem gegenüber Kulturpolitikern und Theaterleitern. Schauspieler pflegten von seiner großen Gabe zu schwärmen, zuhören und beobachten zu können und Freiräume zu schaffen. "Regisseur sein ist und war ein Privileg und zur selben Zeit eine Tortur", bekannte Peter Zadek, "immer für andere verantwortlich sein, immer anderen vorschlagen was sie jetzt tun sollen, auch, wenn man es selbst nicht so richtig weiß." Vier Eigenschaftswörter fielen ihm zu dem von ihm eingeschlagenen Weg ein: "herrlich, aufregend, spannend, nervend".

"Zadek ist heiß oder kalt, niemals lau"

"My Way" nannte Peter Zadek den ersten Teil seiner Autobiografie, in dem er über sein Leben bis 1969 berichtete, "Die heißen Jahre" hießen seine Erinnerungen an die 70er Jahre. Zu Zadeks 75er erschien in der Burgtheater-Reihe das Buch "Die Außenseiter-Welten des Peter Zadek": "Bei ihm gibt es nur ganz oder gar nicht", schrieb der ehemalige Burgtheaterdirektor Klaus Bachler darin, "Aufführungen sind grandios oder grauenhaft. Zadek ist heiß oder kalt, niemals lau."

Seine bisher letzte geplante Wiener Regiearbeit kam allerdings nicht zustande: Im Mai 2007 wurde die Wiener Festwochen-Premiere von Shakespeares "Was ihr wollt" abgesagt, nachdem sich der schwer erkrankte Regisseur in Spitalsbehandlung begeben musste. Im April 2008 feierte er am Hamburger St.-Pauli-Theater mit "Nackt" von Luigi Pirandello einen bejubelten Erfolg.Der "Nestroy"-Lebenspreis komme angesichts des bisher Geleisteten und der zahlreichen Pläne für die Zukunft "gleichzeitig zu früh und zu spät", sagte Matussek im Herbst 2008. Nun hat Zadek seinen Kampf gegen seine schwere Krankheit verloren.

Würdigungen von der Kollegenschaft ...

Der Burgtheater-Schauspieler Gert Voss hat Zadek als Leuchtturm seines Bühnenlebens gewürdigt. Zadek sei der Mensch gewesen, von dem er in seinem Leben am meisten gelernt habe. "Er hat einen Schauspieler davon befreit, sich zu verstellen und ihn dazu gebracht, sich zu enthüllen", sagte Voss der dpa in Wien. Zadeks Verhältnis zu den Schauspielern sei immer durch sehr großes Vertrauen gekennzeichnet gewesen: "Ich habe ihm in der Arbeit alles geglaubt."

Voss hatte unter anderem am Wiener Burgtheater und am Berliner Ensemble in vielen Produktionen mit Zadek zusammengearbeitet und mit ihm seine größten Erfolge gefeiert. Unter anderem seine Darstellung des Shylock in der Zadek-Inszenierung von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" wurde legendär. Für ihn persönlich sei Zadek der größte Regisseur überhaupt gewesen. So wie ein guter Musiker jeden falschen Ton sofort höre, habe er sofort gemerkt, wenn sich ein Schauspieler verstelle. "Er hat einem alle Sicherheitsnetze weggenommen, die man sich als Schauspieler so aufspannt", sagte Voss. Die Zusammenarbeit mit Zadek sei wie eine große Reise gewesen: "mit allen Aufs und Abs, nicht gemütlich sondern aufregend - man brauchte sehr viel Mut."

Als großen Verlust für die Theaterwelt hat Ulrich Khuon den Tod von Zadek bezeichnet. "Zadek war ein epochaler Theaterregisseur, der meine Generation von Theatermachern wesentlich geprägt hat", sagte der Intendant des Hamburger Thalia Theaters. Er habe in den 1960er und 1970er Jahren "eine bis dahin nicht vorstellbare anarchistische Energie, die gleichzeitig sinnlich und durchdacht war, ins Theater gebracht". "Sein 'Lear', sein 'Hamlet', sein 'Kaufmann von Venedig' haben für uns das Theater quasi neu erschaffen", sagte Khuon, der im August die Intendanz des Deutschen Theaters Berlin übernimmt. "Das hatte Leichtigkeit, war nie schwer, aber dennoch tiefgehend. Diese Verbindung war ganz entscheidend. Wir verlieren eine große Kraft."

Nach Ansicht von Klaus Bachler, ehemaliger Burgtheaterdirektor und derzeitiger Intendant der Bayerischen Staatsoper, hat Peter Zadek das deutsche Theater revolutioniert. "Zadek hat das deutsche Theater befreit", sagte Bachler am Donnerstag in München. "Ich habe ja viel mit dem Peter gearbeitet. Er war der anarchistischste Regisseur, der das Theater in Deutschland von allem Didaktischen, Ideologischen befreit hat." Die Zusammenarbeit mit ihm sei einmalig gewesen. "Er hatte sicherlich die schönste Theaterfamilie mit seinen Schauspielern."

... und der Politik

"Peter Zadek war eine der maßgeblichen Regiepersönlichkeiten der deutschsprachigen Theaterwelt", sagte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny in einer Aussendung. "Er war ein Erneuerer, der Normen und Konventionen in Frage gestellt und Grenzen gesprengt hat. Mit Wien war Peter Zadek aufs Engste verbunden. Seine aufsehenerregenden Inszenierungen für das Burgtheater und die Wiener Festwochen sind Theatergeschichte", so Mailath-Pokorny.

Die österreichische Kulturministerin Claudia Schmied  zeigte sich in einer ersten Reaktion tief betroffen: "Bewusst setzte er in seiner Arbeit Kontrapunkte ein, die Schauspieler und Publikum gleichermaßen zu irritieren vermochten. Aber gerade darin bestand das fortschrittliche Element seiner Theaterarbeit, die er nicht nur als Kunst verstand. Er sah im Theater einen gesellschaftlichen Auftrag, dem sich Künstler und Zuseher gleichermaßen zu stellen hatten. Durch seinen Tod verliert die Bühne ein wichtiges Korrektiv zu Traditionen und einen Meister der Innovation".

Mit Zadek verliert die Theaterwelt nach den Worten des deutschen Kulturstaatsminister Bernd Neumann einen der bedeutendsten Regisseure der Gegenwart. Wie kaum ein anderer Künstler habe Zadek die deutsche Bühnenlandschaft seit den 60er Jahren geprägt und verändert. "Die künstlerische Energie seiner Inszenierungen war beispiellos. Wie Shakespeare, in dessen Tradition er sich sah, gelang es Zadek, populäres Theater mit hohem intellektuellem Anspruch zu verbinden." Sein Theater sei auch immer offen für neue Formen gewesen. "Dabei kombinierte Zadek mit Vorliebe vermeintlich Gegensätzliches: Seine Inszenierungen zeichneten sich durch abgründigen Humor und bitteren Ernst aus, sie konnten rasant, grell und plakativ sein, aber auch leise, poetisch und empfindsam".

Auch die Berliner Akademie der Künste hat mit großer Bestürzung auf die Nachricht vom Tod ihres Mitglieds Peter Zadek reagiert. Mit Zadek, der der Akademie seit 1991 angehörte, verliere das europäische Theater "einen seiner innovativsten und fantasievollsten Regisseure", sagte Akademiepräsident Klaus Staeck in seinem Nachruf. Anlässlich seines 80. Geburtstages widmete ihm die Akademie der Künste 2007 eine große Werkausstellung am Pariser Platz. "Er war uns auch beispielhaft in seinem kritischen, politischen Engagement, gespeist aus seinem jüdischen Emigrantenschicksal", betonte Staeck. "Diese seine Wachsamkeit, seine Sensibilität für Kommendes, kurz, seinen politischen Instinkt und seine Liebe zum Menschen werden wir sehr vermissen." Zadek habe es bis zuletzt verstanden, "mit seinen Schauspielern ein Theater mit Menschen für Menschen zu kreieren - frei von bemühten Bilderwelten oder Zerrbildern der Moderne". Besondere Aufmerksamkeit verdiene auch seine weniger bekannte Arbeit für Film und Fernsehen wie "Ich bin ein Elefant, Madame" und "Eiszeit". (APA)