Erstmals kann das "System" Ameisenstraße durch die Nachbildung mit Mini-Robotern bis ins Detail beobachtet werden. Denn in Sachen so genannter "Schwarm-Intelligenz" kann die Robotik einiges von Ameisen lernen: Roboter, die als einzelne keine intelligente Struktur aufweisen, können in einem organisierten Zusammenspiel mit vielen anderen Robotern zu einer intelligenten Formation werden, das gleiche gilt für Ameisen. Das interdisziplinäre Forschungsteam des "Artifical Life Lab" in Graz hat nun mit Mini-Robotern erstmals das Kommunikationsnetzwerk einer Ameisenstraße nachgebaut.
Einzelne nicht intelligent
Die von dem Forschungsteam gebauten "Schwarm-Roboter" bedienen sich der gleichen Kommunikationsmittel wie die Ameisen: So benutzen Ameisen beispielsweise die Sonne als Kompass und sie hinterlassen dort eine Duftspur, wo Futter entdeckt wurde, damit die Nahrungsquelle wieder leicht verfolgbar ist. Daran nahm man sich bei der Konstruktion der Schwarm-Roboter ein Beispiel: Ein eingebautes Facettenauge orientiert sich an einer künstlichen Lichtquelle und auch fluoreszierende Duftspuren helfen den Robotern sich zurechtzufinden.
Sollen die Mini-Roboter ebenso gut funktionieren wie Ameisen, müssen sie mit den Tieren aber vor allem eines teilen: Eingeschränkte Informationen. Eine Studie von WissenschafterInnen der Arizona State University und der Princeton University hat kürzlich festgestellt, dass Ameisen in ihren Entscheidungen äußerst konsistent sind, was zur Folge hat, dass diese Entscheidungen klaren und reproduzierbaren Regeln folgen. Die Kombination zwischen der konsistenten Einzelentscheidung, die auf beschränkten Wahlmöglichkeiten der Einzelnen beruht, und der Gesamtheit solcher Einzelentscheidungen ist laut der Studie (veröffentlicht wurde sie in der Fachzeitschrift "Proceedings of the Royal Society: Biological") für das dynamische Netzwerk sehr nützlich.
Nützliche Beschränkungen
Wenn diese Beschränkungen der Einzelnen schon nicht für menschliche soziale Netzwerke verlockend klingen, sind sie aber durchaus für die Robotik und die Forschung an Künstlicher Intelligenz interessant.
Für die Konstruktion der Schwarm-Roboter in Graz spielt die Erforschung der Regeln des Kommunikationsnetzwerkes eine große Rolle. Aber wie kommt es überhaupt zu den Regeln in der Ameisenstraße? "Die Evolution operiert nicht auf der Ebene der einzelnen sterilen Arbeiterin. Ameisen bilden einen Superorganismus. So wie 'normale' Organismen nur dann selektiert werden, wenn die Zellen des Organismus gut zusammenspielen, so überleben auch jene Kolonien besser, bei denen die Arbeiterinnen gut zusammenarbeiten", so der Zoologe Thomas Schmickl vom "Artifical Life Lab" zur evolutions-biologischen Sicht dieser Frage. Die mathematische/systemwissenschaftliche Perspektive erklärt Schmickl so: "Im Forschungsbereich der sich selbst-organisierenden Systeme beschäftigt man sich mit 'Emergenz'. Ein emergentes Phänomen lässt sich nicht durch die Analyse eines Teils des Systems erklären, es entsteht durch das Zusammenwirken aller Teile. So kann eine Ameise keine stabile Straße bilden. Viele Ameisen ohne Futter auch nicht. Erst wenn alle Teile (viele Ameisen und Futter) vorhanden sind, etabliert sich eine stabile Straße. Wenn es mehrere Futterstellen gibt, dann können Ameisen automatisch die bessere (nähere) Futterstelle auswählen. Dies ergibt sich aus den Interaktionen des Kollektivs und wird nicht von speziellen 'Chefinnen' entschieden. Erhöht man nun die Zahl der Ameisen, dann wird ab einer bestimmten Zahl/Dichte plötzlich auch die zweite Futterquelle parallel ausgebeutet, das sind alles emergente Phänomene."
Rettungsmissionen und Müll-Räumungen
Diese Erkenntnisse über die "Schwarm-Intelligenz" wenden die ForscherInnen des "Artifical Life Lab" für die sich selbst organisierenden Roboter an, die bei Rettungs-Missionen nach Erdbeben oder Lawinen eingesetzt werden könnten. Die damit verknüpften Logistikprobleme stellen in Ameisenstraßen kein Problem dar. Neben der Suche nach Verletzten oder Bodenschätzen und Einsätzen in der Raumfahrt könnten die Roboter auch für lästige Herausforderungen im Alltag nützlich sein. Schmickl: "Ameisen suchen meist Futter oder eine neue Behausung. Alle Aufgaben, die diesen Problemsets ähnlich sind ,kommen natürlich besonders gut in Frage: Müll-Räumung in Stadien oder nach Musikfestivals, einfach überall dort, wo sich mobile autonome technische Einheiten organisieren müssen, wie in der Logistik oder im Verkehr." (beaha, derStandard.at, 29.7.2009)