Österreichs Sozialstaat ist in die Jahre gekommen. Er ist immer weniger in der Lage, soziale Ungleichheiten auszubalancieren. Immer mehr Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, immer mehr fallen - teilweise für immer - aus dem Arbeitsmarkt heraus.

Alleine im ersten Halbjahr 2009 wurden 40.000 Anträge auf Invaliditätspension gestellt, das Antrittsalter sinkt kontinuierlich. Die Durchschnittspensionistin hat eine Pension von 738 Euro zur Verfügung. 65 Prozent aller Armutsgefährdeten im Erwerbsalter sind berufstätig. Mit anderen Worten: Die Gruppe derer, die auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht oder nicht mehr Fuß fassen können und derer, die mit ihren finanziellen Mitteln aus eigener Kraft nicht über die Runden kommen, wächst stetig.

Die Antwort der rechten und konservativen Reichshälfte ist deutlich: Wer will, findet Arbeit. Wer wirklich will, kann arbeiten. Wer sich anstrengt, kommt alleine wieder auf die Beine. Wer auf Dauer Geld vom Staat braucht, soll es zumindest nicht „zu gut" haben - sonst hat er oder sie ja keine Motivation mehr, weiter nach Arbeit zu streben. Dass gar nicht genug (ausreichend bezahlte) Arbeit für alle da ist? Wird gern unter den Tisch gekehrt.

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung passt zu diesem Weltbild ungefähr so gut wie Martin Graf auf die Präsidententribüne des österreichischen Parlaments - nämlich gar nicht. Trotzdem haben sich SPÖ und ÖVP in ihrem Regierungsprogramm darauf geeinigt, eine Mindestsicherung einzuführen. Der Volkspartei half beim Sprung über ihren eigenen Schatten sicher die Zusage, dass die Arbeitswilligkeit der BezieherInnen festgeschrieben wird. Und dennoch, die Skepsis blieb - zu sehr ließ das neue Modell das Bild der „Sozialen Hängematte" in den Köpfen entstehen.

Dabei war immer klar: Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach österreichischem Modell ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Leistungen erhalten nur Personen, die bereit sind, ihre Arbeitskraft einzusetzen und die über keine ausreichenden eigenen Mittel verfügen.
Zuerst kam die Skepsis, dann kam die Krise. Aus 14 Monaten Bezugsdauer wurden 12.

Wer vom Schlechtesten ausgehen will, könnte meinen, dem Finanzministerium nütze die Gunst der Stunde, um die ungeliebte Hängematte noch ein bisschen löchriger zu gestalten. Wer Optimist ist, dem wird zumindest nicht entgehen, dass das Bedauern über die Kürzungen auf VP-Seite de facto nicht vorhanden ist. Für die erste Sichtweise spricht, dass Finanzminister Josef Pröll im Anschluss an den Ministerrat klar sagt, dass es ihm nicht nur um Einsparungen gehe, es sei ihm vielmehr auch ein Anliegen, keine Analogie zu Weihnachts- und Urlaubsgeld zu schaffen. Sozialminister Hundstorfer reagierte zwar nicht erfreut, aber auch nicht verzweifelt.

Österreichs Mindestsicherung wird also deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Sie wird in Summe weniger ausmachen, als die Sozial-Teilleistungen das bisher getan haben und muss daher aufgestockt werden. Kärnten ist weiterhin nicht dabei, und keiner traut sich, dem renitenten Landeshauptmann entgegenzutreten. Und die Mindestsicherung kommt viel später als ursprünglich geplant. Wenn sie überhaupt kommt - denn auch hier ist eine gesunde Skepsis angesagt. Wie die Krise weitergeht, weiß niemand. Welche unerwarteten Verläufe die Harmoniekurve in der Koalition nimmt - und welche Projekte in Folge auf Grund von Streitigkeiten begraben werden - ebenso wenig. 

Eine Gesellschaft zeigt ihr wahres Gesicht vor Allem darin, wie sie mit ihren armen, schwachen, benachteiligten und kranken Mitgliedern umgeht. Österreichs Gesicht kann manchmal ziemlich hässlich sein. (Anita Zielina, derStandard.at, 28.7.2009)