Dresden - Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sehen sich bei neuerlichen Restitutionsansprüchen zu Unrecht in der Kritik. Am Montag wiesen sie den Vorwurf zurück, mit einer "Strategie des Mauerns und Aussitzens" zu reagieren. Hintergrund sind Ansprüche der Familie von Hitler-Attentäter Heinrich Graf von Lehndorff. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 war sein Vermögen eingezogen worden. Mehrere Kunstgegenstände gelangten offenkundig nach Sachsen. Familien-Anwalt Gerhard Brand lokalisierte sie in Dresden, den Kunstsammlungen Chemnitz, auf Burg Kriebstein und in den Leipziger Grassi-Museen.

Den Kunstsammlungen zufolge war ein Vergleichsvorschlag von Brand abgelehnt worden. Dabei sei es um sechs Gemälde und eine Zeichnung gegangen. Ein weiteres Gemälde sollte in den Dresdner Sammlungen verbleiben. Nach derzeitigen Erkenntnissen sei ein früheres Eigentum der Familie von Lehndorff "nicht mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen". Allerdings bestehe bei sechs Gemälden und der Zeichnung eine "hohe Wahrscheinlichkeit", bei einem weiteren Gemälde seien Hinweise für ein Eigentum vorhanden.

Bilder und Lexika

Außer den acht Bildern hatte die Familie im Fall Dresden auch noch 27 Lexikon-Bände aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts verlangt. Nun warten die Kunstsammlungen auf eine Entscheidung des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV). Diese werde man "akzeptieren und keine Rechtsmittel einlegen", hieß es.

Laut Brand bestehen an der Herkunft der Stücke kein Zweifel. "Die historischen Archivalien belegen eindeutig eine Lehndorffsche Provenienz", sagte Brand. Deshalb gebe es auch keine Veranlassung, den Kunstsammlungen in Dresden ein wichtiges Bild zu schenken und dem "Verwendungszweck zu entziehen." Die Erben planten, am früheren Familiensitz im damaligen ostpreußischen Steinort (Sztynort) eine Begegnungsstätte zu errichten. "Die Familie von Lehndorff hat dort 500 Jahre gelebt und sie hatte sehr viel Kunstverständnis", machte der Anwalt Qualität und Ausmaß der Sammlung klar.

Brand sieht bei den sächsischen Museen eine unterschiedliche Offenheit im Umgang mit Restitutionsansprüchen. Während Leipzig sehr offen damit umgehe und den Zugang zu den Depots nicht verwehre, herrsche in Chemnitz ein anderer Geist. Im Fall von Dresden sieht der Anwalt eine "differenzierte Herangehensweise". "Auch die sächsischen Museen sind verpflichtet, Raubkunst offenzulegen", sagte der Jurist.

Über 200 Verfahren

Die Kunstsammlungen Dresden berichteten, dass sie im Fall Lehndorff sofort nach einem Hinweis des BADV mit der Provenienzforschung begonnen hätten. Die juristische Bewertung unterliege den selben Maßstäben wie in zahlreichen anderen Restitutionsverfahren. Derzeit seien es mehr als 200 Verfahren, bei denen es um tausende Stücke unterschiedlichster Art und Provenienz gehe.

Heinrich Graf von Lehndorff stammte aus Steinort in Ostpreußen und war von den Verschwörern des 20. Juli als Verbindungsoffizier eingesetzt worden. Er wurde nach dem gescheiterten Attentat vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 4. September 1944 in Berlin hingerichtet. (APA)