Wagenplatzgründer Jacob Schäfer und Mitbewohner.

Foto: derStandard.at/Wittstock

Auch einen Toiletten- und Duschwagen gibt es.

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Der Müll wird getrennt.

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So sieht sie also aus, die große Freiheit in einer kleinen Weltstadt: An die dreißig Wägen, darunter ausrangierte Container auf Rädern, Zirkuswägen, Wohnwägen und diverse umgebaute Transportermodelle, parken auf einem verwucherten Acker am äußersten Rand Simmerings. Da, wo die Gemeindebausiedlungen von einstöckigen Dorfhäusern abgelöst werden. Auf den rund 4.500 Quadratmetern Erde zwischen Glashäusern und Gemüsefeldern der Simmeringer Gärtnereien leben seit Herbst 2006 rund zwei Dutzend Wagenplatzbewohner.

Demnächst wird wieder Unkraut über Feuerstelle und Trampelpfade wachsen: Vor mehr als einem Jahr wurde ihnen der Räumungsbefehl zugestellt. Das gepachtete Grundstück sei als Grünland gewidmet und die Wägen würden aufgrund ihres Gewichtes als Bauwerke gelten und damit einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen. Seither sind die Bewohner auf der Suche nach einem neuen Platz für ihr alternatives Wohnprojekt. Und weil Wien eben anders ist und sich die rote Stadtregierung gerne als Unterstützerin alternativer Lebensentwürfe sieht, hat sich SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig - oder vielmehr seine Beamten - auf die Suche nach einem anderen Stückchen Land für den Wagenplatz gemacht.

Leere Versprechen

Nach zähen Verhandlungen war es vor einigen Monaten schließlich so weit: „Wir haben ein Grundstück in der Lobau zugesagt bekommen", erzählt Wagenplatzgründer und Werbearchitekt Jacob Schäfer. Nahe dem Kraftwerk sei es gelegen, zwar ohne Strom- und Wasseranschlüsse und bedeutend kleiner als das gegenwärtige, aber froh über die Zusage haben die Wagenplatzbewohner ihren Pachtvertrag gekündigt und begonnen sich auf den anstehenden Umzug vorzubereiten. „Ich hatte mich schon auf einen Sommer an der Donau gefreut", sagt der studierte Psychologe und Wagenplatzbewohner Martin.

Aber letztendlich ist alles ganz anders gekommen: Wenige Wochen vor dem Umzugstermin erfuhren sie per Mail von einem Mitarbeiter des Wohnbaustadtrates, dass sich der Mietzins für das Grundstück laut „offiziellem Angebot" auf rund 22.000 Euro jährlich belaufen würde. Das sorgte bei den Wagenplatzbewohnern für Verwunderung. Immerhin war bisher von einem „Prekarium" von 500 Euro im Jahr die Rede gewesen. "Der Prekariatsvertrag ist uns mehrmals zugesichert worden und war zwischen der Gemeinde und uns bereits fix vereinbart", sagt Schäfer. Ein "Prekarium" ist ein symbolischer Mietpreis - dafür können die Bewohner jederzeit delogiert werden und haben keinerlei Rechte.

Umfaller der SPÖ

Bisher zahlte die Truppe für ihr Ackerland 1.000 Euro Jahresmiete. Das neue, "offizielle" Angebot der Stadt Wien haben sie ausgeschlagen. Dabei sei es nicht der Preis, der den Wagenplatzbewohnern derart bitter aufstößt. „Klar könnten wir das bezahlen. 22.000 Euro für eine Fixbebauung wären schon okay, wir würden auch die notwendige Infrastruktur schaffen", sagt Schäfer. "Aber uns geht es in erster Linie um das plötzliche Umschwenken der SPÖ."

Dass man im Büro von SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig auf einmal nie etwas von einem vereinbarten Prekarium gewusst haben will, könnte mit dem Donaustädter FPÖ-Obmann Anton Mahdalik zu tun haben, der die Bewohner des Wagenplatzes gern als "Punks" und "asoziale Aussteiger" bezeichnet, die den Anrainern bloß auf der Tasche liegen würden.

"Der Großteil von uns geht arbeiten, ist normalverdienend. Viele haben studiert oder studieren noch. Wir wollen lediglich eine wertlose Brachfläche mieten und das stößt auf Unverständnis", sagt Schäfer. "Dabei gibt es in Wien an die 40 brachliegende Grundstücke." Es sei schade, dass man in einer Stadt nicht anders wohnen dürfe, als in Wohnungen oder Häusern, sagt Martin. Da wo er herkommt, erzählt der gebürtige Deutsche, haben Wagenburgen Geschichte. Was zum Stadtbild vieler deutscher Großstädte gehört, ist in Österreich ein Unikum.

Kein Platz für Andersartigkeiten

Alternative Wohnprojekte haben es in Wien nicht leicht. Auf langwierige Diskussionen mit der Stadt Wien folgen oft Zusagen, die mit der späteren Realität nichts gemein haben. So auch geschehen bei der "Pankahyttn": Jahrelang wurde mit der Gemeinde Wien um ein leerstehendes Haus verhandelt. Als die Bewohner im Winter 2007 schließlich das Haus im 15. Wiener Gemeindebezirk bezogen, war es plötzlich keine "Pankahyttn" mehr, sondern "betreutes "Wohnen für wohnungslose Menschen", wie es Florian Winkler, Sprecher des Fonds Soziales Wien verstanden wissen will.

Ungewisse Zukunft

"Schubhäftlingsgefühl", nennt es einer der Wagenplatzbewohner, "ganz so, als könnte ich morgen im Flieger sitzen." Wie es weitergehen soll, dass weiß momentan keiner von ihnen so genau. Einige Wagenbewohner haben mittlerweile das Handtuch geworfen und sind in Wohnungen übersiedelt. "Wenn man Kinder hat, oder gerade an seiner Magisterarbeit schreibt, ist die derzeitige Situation einfach zu belastend. Aufgeben wollen wir trotzdem nicht", sagt Jacob Schäfer und zieht sich den Kapuzenpullover enger um den Körper. Inzwischen spiegelt sich das Abendrot auf den Glashäusern, schwarze Wolken von Gelsen zurren in der Luft und aus den Boxen des Barwagens tönt "Westerland" von den „Ärzten": "Manchmal schließe ich die Augen, stell mir vor ich sitz am Meer, dann denk ich an diese Insel, und mein Herz das wird so schwer." (20.07.2009, derStandard.at, Birgit Wittstock)