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Hier, in der gläsernen Spitze der Pyramide, ist alles weiß, gleißend, entrückt. Bilder von Friedenstauben bedecken die Scheiben. Dies ist nicht die Mitte der Welt, das ist schon jenseitig. Der Blick auf Astana aus Norman Fosters pharaonischem Palast für den Weltfrieden und Pyramidenspiele.

Foto: REUTERS/Talgat Galimov

Die Brünos bei den Borats? Österreichische Solidaritätsbesuche bei den von Sacha Baron Cohen bereits verarschten Kasachen sind bislang noch selten. Obwohl Cohens erster länderkundlicher Streifen Borat die Touristenströme wohl ungewollt doch ein wenig gelenkt hat. Nicht in Richtung Rumänien, das die Landschaften Kasachstans in Cohens Film eigentlich doubelte, sondern tatsächlich mitten in die zentralasiatische Steppe. So gestand nun der kasachische Tourismusminister Kenzhebay Satzhanov indirekt ein, dass sein Job erst nach dem Film überhaupt eine gewisse Berechtigung erlangte: Die Ankünfte ausländischer Gäste würden nun vor allem deshalb langsam, aber beständig wachsen, weil man halt nachschauen wolle, wie es dort wirklich ist.

Weltenbaum mit Goldkrone

Nach Kasachstan reisen und dennoch in Cohens Absurdistan zu landen - dafür muss man in die erst elf Jahre alte, neue Hauptstadt Astana, deren wörtlich übersetzter Name "die Hauptstadt" bedeutet. Siebenundneunzig Meter hoch ragt der Baitarek-Turm in der Mitte Astanas in die heiße Sommerluft, ein stilisierter Weltenbaum, in dessen Krone ein goldenes Ei ruht. In dem Ei eine Treppe, am Ende der Treppe die Plattform mit der Kanzel. Auf der Kanzel - der Handabdruck des Präsidenten, in Gold gegossen. Wer seine Hand hineinlegt, dessen Wünsche gehen in Erfüllung. Ein 14-jähriger Bub aus dem Süden des Landes versucht es, nur will die kleine Hand nicht so recht in die Vorlage passen. Doch so leicht er gibt sich nicht geschlagen, schließlich ist er zusammen mit seiner Mutter, seiner Tante und seinem kleinen Neffen Tausende von Kilometern durchs Land gereist, um hier zu stehen. Schließlich legt er auch noch die zweite Hand verkehrtherum in den Abdruck. So geht's, so kann ihn die Tante fotografieren. In der Mitte der Welt ist nichts unmöglich.

Den Blick will der Bub schweifen lassen über die prächtige neue Hauptstadt, die Präsident Nursultan Nasarbajew mitten in der Steppe aus dem Boden stampfen lässt. Er ist nicht der Einzige. Zu Tausenden kommen sie jeden Tag, aus allen Provinzen eines Landes so groß wie Westeuropa, um das Wunder mit eigenen Augen zu erleben.

Hochhäuser, geformt wie Skulpturen, reihen sich entlang der geometrischen Achsen und Plätze - ein unwirklich anmutendes Szenario in Weiß, Gold und Türkis. Die Anlage der Stadt ist das Werk eines einzigen Architekten, des Japaners Kisho Kurokawa. Sie beherbergt eine merkwürdige Mixtur aus neoklassizistischen Bauten - wie dem schneeweißen Präsidentenpalast mit seiner riesigen himmelblauen Kuppel - und Elementen sozialistischer Stadtutopien. Das Zuckerbäckergebirge mit dem Namen Triumph von Astana mutet an wie eine Zweigstelle der Moskauer Lomonossow-Universität. Auch die großen Wohnriegel mitten am zentralen Stadtplatz erinnern an sowjetische Hauptstädte, nur dass die Apartments statt Parteifunktionären die wirtschaftliche und politische Elite der neuen Hauptstadt beherbergen werden. Garniert wird diese Grundstruktur mit den futuristisch schillernden Bürokomplexen der Ministerien, Banken und Ölkonzerne.

Jenseits des Baitarek-Turms wirkt die Stadt menschenleer, die Parks mit ihren dünnen Bäumchen und frisch gepflanzten Büschen unbelebt. Auf dem kargen Steppenboden eine europäisch anmutende Parkidylle heranzuzüchten ist nicht einfach. Ein wenig erinnert die Nichtatmosphäre der Retortenstadt mit ihren exaltierten Bauten an ein überdimensionales Expo-Gelände, vielleicht auch an Dubai dort, wo der Fluss Ischim auf Strandbad macht. Dann wieder beschleicht einen das Gefühl, sich im Zentrum einer noch unbekannten Sekte zu befinden.

Im Foyer zum Weltfrieden

Letztere Note bringt vor allem jene weithin sichtbare, 62 Meter hohe Glas- und Stahlpyramide ins Spiel, die der Präsident bei Star-architekt Sir Norman Foster in Auftrag gab. Auf einem künstlichen Hügel thronend, übt das als "Palast des Weltfriedens" gedachte Monument eine durchaus unheimliche Faszination auf den Betrachter aus. Ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn man das düstere, mit schwarzem Granit ausgekleidete Foyer des tempelartigen Baus betritt. Doch je höher der Besucher über schräg an den Verstrebungen emporgleitende Fahrkabinen und Rampen ins Innere aufsteigt, desto freundlicher wird die Anmutung. Schließlich durchschreitet man eine treibhausartige, mit üppigem Grün berankte Zone, lässt auch diese letzten Zeichen alles Irdischen hinter sich und findet sich in einem lichtdurchfluteten Saal wieder.

Hier, in der gläsernen Spitze der Pyramide, ist alles weiß, gleißend, entrückt. Riesige semitransparente Bilder flatternder Friedenstauben bedecken die Scheiben. Dies ist nicht die Mitte der Welt, das ist schon jenseitig. Im Zentrum des Saals ein ringförmiger Tisch: Hier sollen sich nach dem Willen des Präsidenten alle drei Jahre die Führer der 18 größten Weltreligionen treffen. 2006 gab es die erste Konferenz, bis zur nächsten Zusammenkunft sollen in anderen Stockwerken der Pyramide diverse Tempelräume fertiggestellt sein, darunter eine Synagoge, eine Moschee sowie christliche Kapellen. Vollendet und eingeweiht ist bis jetzt nur der weltliche Teil im Innern des Baus - ein Opernhaus für 1500 Zuschauer, in dem zur Eröffnung Montserrat Caballé auftrat und schon kurze Zeit später Modern Talking.

Wer aus diesem Olymp wieder auf den Boden der Realität herabsteigt, den wundert auch die nächste Foster'sche Vision nicht, die hier entsteht: eine gigantische transparente Jurte, unter deren Stahl- und Kunststoffzelt sich ein ganzer Stadtteil mit Häusern, Park und Badelandschaft befinden soll, eine Stadt in der Stadt, wohltemperiert und das ganze Jahr über abgekoppelt vom rauen Steppenklima. Die Basis für das Projekt "Khan Shatyry" ("Zelt des Königs" ) ist bereits gelegt, seit Ende vergangenen Jahres ragt nun ein 150 Meter hoher Mast, der das Zelt tragen soll, bis in die launischen Wolken: Wie ein riesiges, hellgraues Ufo liegt der ovale Betonsockel am Rande der Stadt, bis Ende 2009 soll sich die zehn Fußballfelder große Über-Jurte dann als größtes Zelt der Welt in den Steppenwind stellen.

Der ist der große Feind des neuen Astana: Ungebremst und mit Sommertemperaturen von weit mehr als 35 Grad, fegt er im Winter mit bis zu minus 40 Grad aus Nordsibirien heran. Schon jetzt lassen die vom Frost geborstenen Gehwegplatten und Fassadenteile befürchten, dass die ersten Glitzerfassaden der neuen Hauptstadt schon allzu bald wieder bröckeln könnten. Viel wird gemunkelt über den minderwertigen Beton, den die Bauunternehmen in rekord-, aber auch pfuschverdächtiger Zeit angerührt und verarbeitet haben. Doch von solch kleinlichen Einwänden lässt sich der Enthusiasmus der neuen Stadt nicht bremsen. Schlimmstenfalls wird eben neu gebaut, Platz genug ist ja da. Keinesfalls will man zurückblicken und sich etwa daran erinnern, wie die junge Hauptstadt noch bis 1994 hieß: Aqmola - "Weißes Grab". (Olaf Tarmas/DER STANDARD, Printausgabe, 18.7.2009)