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Schwere Zerstörungen im Gazakrieg nach einem israelischen Luftangriff auf ein Gebäude der von der radikalislamischen Hamas geführten Sicherheitskräfte im Gazastreifen.

Foto: APA/EPA/Saber

Wien - "Es war ein Schrei, den ich nie vergessen werde" , gibt der israelische Soldat zu Protokoll. In jener Nacht liegt seine Kompanie irgendwo im Gazastreifen verschanzt, als sie einen Palästinenser erspähen, der auf sie zukommt. "Als er 100 Meter herangekommen war, sahen wir, dass er keine Waffe hatte" , erinnert sich der Soldat. Er will einen Warnschuss abgeben. Sein Offizier verneint.

Noch 70 Meter, auch andere Soldaten wollen einen Warnschuss. Wieder Nein. 50 Meter. Plötzlich eröffnen Scharfschützen das Feuer. Sie schießen gezielt. Der Schrei ertönt. Beim Leichnam des Palästinensers finden die Soldaten später keine Waffe und keine Bombe. "Das war die Eröffnung heute Nacht", habe der Offizier gesagt.

Es ist dies eine von 50 Geschichten, die die israelische NGO "Breaking the Silence" am Mittwoch veröffentlicht hat. Die Mitarbeiter der Organisation befragten 26 israelische Soldaten, die am Gazakrieg zu Jahresbeginn teilgenommen hatten. Die Soldaten berichten über ihre Erfahrungen im Krieg, und viele erheben in den anonymisierten Interviews schwere Vorwürfe gegen die Armeeführung.

So berichten mehrere Soldaten über die mutwillige Zerstörung von palästinensischen Häusern und über Offiziere, denen zivile Verluste gleichgültig waren und die Soldaten zum Gebrauch der Waffe sogar animierten.

Besonderes heikel sind Passagen über den Einsatz von menschlichen Schutzschilden im Krieg. Palästinenser seien immer wieder in Häuser geschickt worden, wo Sprengfallen vermutet wurden oder sich Hamas-Kämpfer verschanzt hielten, erzählte ein Soldat. Der Name dieser Strategie: "Johnnie" . Das Wort war bei israelischen Soldaten für palästinensische Zivilisten gebräuchlich.

Der Bericht von "Breaking the Silence" dürfte auch international den Druck auf Israel erhöhen. Denn in den vergangenen Wochen hatten bereits Human RightsWatch und Amnesty International schwere Vorwürfe gegen Israels Kriegsführung in Gaza erhoben. Ein Bericht der Uno wird für September erwartet.

Der Krieg mit dem Operationsnamen"GegossenesBlei" hatte am 27. Dezember 2008 mit einem massiven israelischen Luftschlag begonnen. DerAngriff war die Antwort auf Raketenangriffe der Hamas auf Südisrael. Mit dem Kassam-Feuer wollte die Hamas ein Ende derGaza-Blockade erreichen. Israel schickte schließlich Bodentruppen, die in der letzten Kriegsphase bis nach Gaza-Stadt vorrückten. "Breaking the Silence" hat nun erstmals kompakte Aussagen von Soldaten über diese Bodenkämpfe gesammelt.

"Das Schockierendste an den Berichten war für mich, dass die israelische Armeeführung offenbar überhaupt keine rote Linie vorgab" , sagt Noam Hayut, einer der Gründer von "Breaking the Silence" im Standard-Gespräch. "Die Soldaten konnten schießen, wann sie wollten.Sie nutzten immer wieder menschliche Schutzschilder" , meint der Ex-Offizier. Die israelische Armee nutzte diese Strategie um eigene Opfer zu vermeiden, sagt Hayut. Im dreiwöchigen Krieg starben zehn Soldaten. Auf palästinensischer Seite variieren die Opferzahlen, von 1100 bis 1400 Toten ist die Rede. Dass die 26 Soldaten nicht namhaft gemacht wurden, kritisiert die israelische Regierung besonders heftig. Hayut rechtfertigt dies damit, dass den Soldaten bei Preisgabe ihrer Namen Strafen drohten. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 16.7.2009)