Graphik: STANDARD

Die einen kamen aus Budapest, die anderen aus Bukarest, alle feierten in Belgrad eine europäische Party.

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"Was? Sie haben noch keine Regenjacke?" Die Niederländer, allen voran Superradler Frans, sind über den Unernst mancher Biker entsetzt. Bevor sich jeweils 200 Leute in Budapest und im bulgarischen Orjahovo aufs Fahrrad setzen, um sich fünf Tage später in Belgrad an der Save zu treffen, decken sich einige noch in einem Sportgeschäft in Bukarest ein. Andere sind seit ewig perfekt ausgerüstet.

Schon vor der Tour ist klar: Alle diese Radler sind Europäer, aber deshalb sind nicht alle Radler gleich. Etwa 50 Personen zählen zu der "more competitive group" , auch die "Ehrgeizigen" genannt:Niederländer, Franzosen, Spanier, Serben. Und natürlich die Papirotis, Slowenen in papageibunten Kostümen, die nur als Gruppe auftreten. Manche Räder der "Ehrgeizigen" sind mit kleinen Computern und Seitenspiegeln ausgestattet oder überhaupt so umgebaut, dass sie im Liegen treten können.

Am anderen Ende der Truppe haben sich die "urban losers" zusammengetan, die sich oftmals vereinzelt über die Hügel kämpfen. Ihre Anführerin ist Gaby, die Ehefrau des Präsidenten des Europäischer Radfahrer-Verbands, die außerdem die Windelcreme Lasepton in ihrer Fahrradtasche hat, die vor einem offenen Hintern schützt. Die Heldin der "urbanen Verlierer" ist Anca aus Bukarest, die auf einem 20-Zoll-Rad strampelt und keine Fahrradhose, dafür aber alle Sympathien besitzt.

In Bukarest verabschiedet ein Mann, der sich als Bürgermeister von Bukarest ausgibt, dies aber nicht ist, die Radler mit dem Megafon in der Hand. Mit Bus und Fähre an der bulgarischen Seite der Donautiefebene angekommen tauchen hinter Mohnblumen und Königskerzen plötzlich Fahrradhelme auf, die mit ihren gezackten Öffnungen aussehen wie Krokodilsrücken. Die Radler tragen hässliche glänzende Fahrradhosen und stopfen alle paar Stunden Schnitzelsemmel und Schokoriegel in sich hinein. An den Straßenrändern sammeln sich interessierte Einheimische und rufen den merkwürdigen Eindringlingen "Strasti!" zu.

Frans umkreist mit einer Mütze, deren Lappen um seine Ohren wehen, rastlos die "urban losers" : "Go, go, go!" , ruft er. Es ist neun am Abend als die letzten Radler in Lom ankommen. Georgina aus Bukarest ist vom Regen durchnässt. Am nächsten Tag sind die "urban losers" aber auf der Gewinnerseite:Nicht nur weil sie die Landschaft mehr genießen -"Das ist ja kein Rennen" , sagt Anca -, sondern auch weil sie die meisten Maulbeeren abbekommen, die wie kleine Boten aus dem Schlaraffenland schwarz und rot von den Ästen hängen. In den Vorgärten wuchern riesige Zucchini-Blätter und ranken Bohnen empor. Georgina hat übrigens einen Helden gefunden, einen großen Mann, der sie wie ein gutmütiger Bär mit der Hand sanft über jeden Hügel schiebt.

Tempo, nicht Nationalität

Am Abend in Vidin gibt es dann nussig-saftigen Kuchen. Und Bier. Am nächsten Tag steigen ein paar Radler deshalb zunächst in den Bus, der die Tour begleitet. Von einem etwas steileren Hügel ist die Rede. Gaby findet, dass man ja danach auch noch 80 Kilometer zu radeln hat. Das reicht. An der bulgarisch-rumänischen Grenze ("Salut!" ) werden die Nicht-Schengen-Menschen herausgefischt und müssen sich rechts anstellen. Das Prozedere teilt die Radler, die nach Geschwindigkeit und nicht nach Nationalität geordnet nebeneinander fahren. Reisesprache ist Englisch.

Frans, der lieber 40 Kilometer in der Stunde fahren würde als dauernd zu warten, beruhigt die "urban losers" : "There is not such a thing like a second hill." Wir glauben ihm natürlich nicht.

Gott sei Dank ist aber Mirabellenzeit. Einige Kilometer vor Drobeta Turnu Severin, einer schönen Stadt mit verrosteten riesigen Kränen, die an der Donau herumstehen, als wären sie dafür gebaut worden, im Abendlicht das gleißende Blau des Flusses stärker zu betonen, hüpfen verschwitzte Radler in die Donau. Hinter Märchengärten mit Obstbäumen und zierlichen Schmiedetoren verwittern ocker, grüne und blaue Villen mit vorgebauten Veranden. Ein Schäfer liegt zwischen ein paar Gänsen am Fluss. Die Mirabellen hängen schwer und gelb über die Holzzäune. Eine Bäuerin stellt sich auf die Straße und verteilt an die Vorrüberfahrenden lächelnd Zweige mit den süßen Früchten.

Am nächsten Tag stehen viele Bewohner von Dobretat Turnu Severin auf ihren Balkonen, um die merkwürdigen radfahrenden Europäer zu fotografieren. Auf der anderen Seite der Donau ist auf einem grünbewaldeten Hügel in riesigen roten Buchstaben"Tito" zu lesen. Früher war das Wort für die Rumänien wohl eine Verheißung. Noch heute können es viele Serben nicht fassen, dass die armen Nachbarn vor ihnen in der EUsind. Der Unterschied ist auch heute sichtbar. Auf der serbischen Seite stehen große Einfamilien-Häuser aus den 1970ern mit weißen Geländern und Torbögen. "Zdravo!" rufen die Menschen hintern den Zäunen.

Georgina ist ihrem Helfer untreu geworden. Sie radelt mittlerweile ohne die Hand des gutmütigen Bären auf ihrem Rücken. Er hat sich zum Trost einen kleinen Teddybären auf seinen Fahrradhelm gesetzt, bleibt aber untröstlich. In dem Tunnel vor dem Eisernen Tor an der rumänisch-serbischen Grenze wird es dann dunkel. Wie Irrlichter wackeln die Fahrradlampen durch das Schwarz. Auf der anderen Seite tut sich aber der Himmel zwischen den Bergen auf. Felsen quetschen hier die Donau ein, die tief unter uns liegt. Es gießt in Strömen. Doch eine Nachricht verbreitet sich auch im Gewitter rasch:"Michael Jackson ist tot."

Am Abend am Silbersee bei Veliko Gradište trösten die Papiroti mit Slivo und slowenischer Musik. Das ältere britische Ehepaar - beide aus der EU-Kommission - finden am ehesten noch am Schnaps Gefallen. Es bildet sich aber eine slowenisch-steirische Humtata-Polka-Allianz. Als die Papirotis den serbischen Klassiker "Djurdjevdan" von Goran Bregović spielen, tanzen auch die anderen Europäer. Im Kreis.

Es ist wie eine Übung für den letzten Abend, wo alle Radler aus Bukarest und Budapest zusammenkommen. An der Save in Novi Beograd verzaubern Blechbläser (Global Warming) die Radfahrer, die in eine balkanische Tanzekstase verfallen. Auf der anderen Seite der Donau leuchtet der Kalemegdan, die Festung in Belgrad. Eine Spanierin reißt sich ihr T-Shirt vom Leib. Andere singen in die Trichter der Trompeten. Es ist irgendwie Europa. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 14.7.2009)