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Helene Jarmer übernimmt Ulrike Lunaceks Platz im Parlament.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Helene Jarmer hat Freitagmittag ihren Premieren-Auftritt im Hohen Haus absolviert. Zuvor war sie als erste gehörlose Abgeordnete im Nationalrat angelobt worden. Sie folgt auf Ulrike Lunacek nach, die sich am Donnerstag vom Nationalrat verabschiedet hatte. Lunacek wird am 14. Juli im Europaparlament als EU-Abgeordnete angelobt.

Jarmer nützte ihre Rede zum Behindertenbericht dazu, ihren Kollegen eine kleine Einschulung in die Gebärdensprache zu geben. Gleichzeitig sandte sie - unterstützt von einer Dolmetscherin - ein Plädoyer aus, behinderten Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben zu ermöglichen.

Jarmer legte ihre Rede humorvoll an. Den Abgeordneten-Kollegen machte die Grün-Mandatarin gleich klar, dass sie wirklich gar nichts höre: "Schreien nützt nichts." Nichtsdestotrotz gebe es mannigfaltige Möglichkeiten, mit ihr in Kontakt zu treten: SMS, E-Mail oder auch telefonisch mit Hilfe ihrer Gebärden-Dolmetscherin.

Eine kleine Einschulung bekamen die Mandatare von Jarmer persönlich geliefert. So erfuhren die Abgeordneten, dass Eigennamen in der Gebärdensprache immer mit bestimmten Begriffen verbunden seien. Altkanzler Wolfgang Schüssel etwa werde weiterhin mit einem Mascherl dargestellt, auch wenn er das bereits seit dem Jahr 2000 abgelegt hat. Zudem für die meisten wohl neu: Gebärdensprache gibt es als Nationalsprachen und auch in Dialekten.

Der Einladung, einige ihrer Gebärden nachzuvollziehen, kamen trotz allem Staunen dann nur wenige Abgeordnete nach. Neben den Grünen tat sich vor allem der frühere Wirtschaftsminister Martin Bartenstein beim Üben hervor.

Freundllich aufgenommen

Inhaltlich sicherte Jarmer zu, dass sie sich nicht nur für die Anliegen der Gehörlosen, sondern für alle Behinderten einsetzen wolle. Versäumnisse gehörten dringend nachgeholt. Es sei beispielsweise noch immer möglich, dass Lehrer gehörlose Kinder unterrichten, ohne Gebärden zu können: "Was würden Eltern sagen, wenn die Französisch-Lehrerin kein Französisch kann?"

Aufgenommen wurde Jarmer von den anderen Fraktionen freundlich. BZÖ-Generalsekretär Martin Strutz meinte, mit dem Einzug in den Nationalrat habe Jarmer wohl mehr bewegt als alle Behinderten-Berichte zusammen. Sozialminister Rudolf Hundstorfer zeigte sich erfreut darüber, dass die Plenarsitzungen nun auch in Gebärdesprache übersetzt werden. Er habe das als frühere Vorsitzender des Wiener Gemeinderates dort schon vor einigen Jahren bewirkt.

Eigentliches Thema der Debatte war der Behindertenbericht für das Jahr 2008. Dem Report zufolge leben behinderte Menschen häufiger alleine als nicht behinderte, sind häufiger belastenden Wohnsituationen wie Lärm, Feuchtigkeit und Überbelag ausgesetzt und ihr Bildungsstandard ist deutlich niedriger. Die Armutsgefährdung ist mit 20 Prozent fast doppelt so hoch wie die von Nichtbehinderten.

Folgerichtig forderten vor allem die Oppositionsparteien weitere Verbesserung für Behinderte. FP-Behindertensprecher Norbert Hofer verlangte eine Inflationsanpassung des Pflegegeldes, eine progressive Behindertenausgleichstaxe sowie kostenlose Gehörlosenkurse für Eltern betroffener Kinder. Seitens des BZÖ wurde eine Aufstockung der Mittel für Behinderte eingefordert.

Die Koalition wiederum betonte, dass sich in den letzten Jahren schon einiges getan habe. Die SP-Mandatarin Ulrike Königsberger-Ludwig erinnerte an die Erhöhung des Pflegegeldes und die Einrichtung des Bundesbehindertenanwalts (Amtsinhaber Herbert Haupt verfolgte die Debatte übrigens von der Besucher-Galerie aus). Der VP-Abgeordnete August Wöginger hob hervor, dass die Gebärdensprache mittlerweile in Verfassungsrang gehoben worden sei und lobte diverse Beschäftigungsinitiativen. Von Sozialminister Hundstorfer kam die Versicherung, man werde gerade in Zeiten der Krise dafür sorgen, dass behinderte Menschen nicht aus dem Arbeitsmarkt gedrängt würden. (APA)