Ein Kommissar mit Faible für fremde Leidenschaften: Gérard Depardieu und Adrienne Pauly in Claude Chabrols "Kommissar Bellamy".

 

Foto: Filmladen

Ein Kriminalfall erweitert sich darin zum doppelbödigen Gesellschaftsbild.


Wien - Kreuzworträtsel in den Ferien zu lösen, kann für einen leidenschaftlichen Polizisten wie Bellamy keine ernsthafte Erholung sein. So ist es kaum verwunderlich, dass ihm ein Wort wie "bonheur" nicht einfallen mag. Der mysteriöse Fremde, der zuerst in seinem Garten zögerlich die Gewächse zertritt und es schließlich doch wagt, an seine Haustür zu klopfen, interessiert ihn da schon wesentlich mehr. Ein Fall, ein Glücksfall.

Kommissar Bellamy (im Original schlicht Bellamy) ist der mittlerweile 58. Spielfilm des französischen Regiealtmeisters Claude Chabrol - eine imposante Zahl, die Respekt gebietet: Seit 50 Jahren widmet sich der Regisseur bereits den Fallhöhen bürgerlicher Lebenswelten und -lügen, und er hat dabei zu einem charakteristischen Stil gefunden: Das Dramatische erscheint oft etwas spöttisch, nahe am Aberwitzigen. Eine Mischung, die Chabrol möglichst viel Freiraum für ungewöhnliche Charakterstudien garantiert.

Eine Neuerung gibt es in Kommissar Bellamy allerdings doch, und sie ist wesentlich. Erstaunlicherweise ist dies die erste Zusammenarbeit Chabrols mit Gérard Depardieu. Dessen inzwischen schon dem späten Marlon Brando vergleichbare Präsenz dominiert die Szenen nicht nur mit körperlicher Kraft. Der Film richtet sich auch ganz auf die Wahrnehmung der Figur aus, auf deren neugierig-lustvolle Art, das soziale Miteinander zu evaluieren. Selbst Rückblenden sind wie Skizzen im Geiste.

Auf Maigrets Spuren

Wie ein Wahlverwandter von Georges Simenons Inspektor Maigret verbeißt sich der Kommissar in die Geschichte von Noel Gentil (Jacques Gamblin), des Fremden im Garten. Dieser zieht Bellamy ins Vertrauen, um einen Versicherungsbetrug zu beichten, der ihm dazu verholfen hat, aus seiner Ehe zu entfliehen. Mit seiner jungen Tanzpartnerin will er ein neues Leben beginnen. Dumm nur, dass dafür ein Mensch sein Leben lassen musste. Dessen Leiche sollte die eigene Existenz auslöschen.

Bellamys Interesse an dem Fall - auch dies eine Reverenz an Maigret - ist eher auf die Natur der Menschen gerichtet. Er stöbert die Ungereimtheiten der Geschichte auf, die Selbsttäuschungen, denen Gentil unterliegt. Die Motive dieses Kriminellen aus Leidenschaft rührten ihn, sagt Bellamy einmal zu seiner Frau, und ignoriert dabei sein eigenes Umfeld, in dem sich vergleichbare zwischenmenschliche Abgründe auftun.

Das Privatleben des Kommissars dient Chabrol und seiner Autorin Odile Barski als zweite Ebene des Films, in dem sich bestimmte Motive, mitunter etwas zu forciert, verdoppeln. Bellamy bekommt Besuch von seinem delinquenten Halbbruder Clovis (Jacques Lebas), mit dem ihm eine Hassliebe verbindet. Der Jüngere beneidet den berühmten Bruder um seine Frau Françoise (Marie Bunel), sein Geld, sein Glück.

Auf beiden Ebenen dreht sich alles um die Frage des gelungenen Lebensentwurfs. Diese Ausrichtung macht Kommissar Bellamy zum Gesellschaftsstück, das den Krimi nur als Vorwand braucht. Der Kommissar hat von allen am wenigsten zu befürchten. Einmal tritt er einen Schritt zu weit nach links und fällt beinahe in ein Loch. Seine Frau warnt ihn im letzten Moment. Welch ein Glückspilz, dieser Bellamy! (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2009)