Höchste Spiellaune: "The Boss" begeisterte in Wien.

Foto: Newald

Mit einem üppigen Programm quer durch alle Karrierestationen begeisterte der 59-jährige Rockstar – restlos.

Wien – In London gab es zum Einstand London Calling. Von The Clash. Nachdem aus Wien nicht so coole Musik kommt, eröffnete Bruce Springsteen sein Konzert am Sonntag mit dem Donauwalzer. Immer noch eine gute Wahl, es hätte mit Falco's Vienna Calling ja auch richtig hässlich werden können. Nachdem Springsteen den rund 40.000 Fans zu dieser am Akkordeon vorgetragenen musikalischen Grußkarte die Goderln gekrault hatte, fiel die Band in ein ruppiges Jackson Cage ein, das vor allem dazu diente, den Sound einmal grob zu justieren.

Es folgte Badlands, und an dieser Stelle hatte die elfköpfige Band bereits breit Aufstellung genommen. Auch das Saxofon, das Probleminstrument der den "Boss" begleitenden E Street Band, durch das der Atem von Clarence Clemons strömt, dem Big Man dieser Big Band, wurde erstmals auffällig.

Das muss man mögen. Wie auch die E Street Band als solche. Denn in ihrer Größe, die vom reichlich gespielten Klavier über dick Percussions zur fetten Orgel und über das Saxofon zu den Backgroundsängern reicht, kredenzt sie eigentlich immer ein bisserl zu viel von allem. Man würde Springsteen wirklich gerne einmal mit einem schlanken Trio oder Quartett erleben. Aber Stadionrock verlangt in der Einschätzung des 59-jährigen Rockers eben ein musikalisches Breitwandformat.

Cinemascope gab es bei langsam einsetzender Dunkelheit auch im Bühnenhintergrund. Während Springsteen die Geschichte von Outlaw Pete erzählte, wurden Bilder des Monument Valley an die Leinwand projiziert, erratische Felsen im Norden Arizonas, dann turmhohe Kakteen: Kurz: Sehnsuchtsbilder, für die der ewige WorkingClass-Hero aus New Jersey zeit seiner Karriere den Soundtrack liefert.

Im harten Rock jaulte die Geige, es wimmerte die Pedal-Steel-Gitarre, und mit seinem Hang zur großen Geste schlug der an dieser Stelle bereits komplett nassgeschwitzte Hauptdarsteller im Stile von Pete Townsend mit rotierendem Arm die Saiten.

Das kam an, das Publikum war längst überzeugt. Vor allem durch die Full-Contact-Show von Bruce, dessen Jeans bereits im zweiten Song von sehnsuchtsvollen Händen begrapscht worden waren. Und so manches Bad in der Menge sollte noch folgen. Diese sicht- und spürbare Lust und Spiellaune übertrug sich auf das Stadion. In Working On A Dream, dem Titelsong seines aktuellen Albums, den Springsteen erstmals auf einer Unterstützungsveranstaltung für Barack Obama gespielt hatte, fiel er in die Rolle des Predigers, der hier und jetzt ein "House of Happiness and Music" samt in Aussicht gestellter "Sexual Healing" errichten wollte. Da wogten die Publikumsarme wie ein Kornfeld zustimmend im Wind. Der Bruce, der is' a Bursch, und wir sind alle eine große Familie. Ein Volksfest.

Spätestens bei Because The Night, einer ungewöhnlich harten Interpretation des gemeinsam mit Patti Smith geschriebenen Klassikers, zog die Veranstaltung dann auch atmosphärisch nach. Endlich dunkel! Und als später, während die Band Publikumswünsche erfüllte, bei Proud Mary der Vollmond übers Stadiondach aufstieg, war's nur noch kitschig.

Der hemdsärmelige Kraftlackel- und Kumpelrock, der sich in der bekannt kantigen Spielart des Boss ebenso äußerte wie in reichlich gegebenen Umarmungen, war auf die höchste Ebene der springsteenschen Kunst gehoben. Für den Gassenhauer Waiting For A Sunny Day legte er erstmals die Akustische an – und sich selbst wieder in Publikumshände: Ja, sogar den Kopf durfte man dem Boss tätscheln.

Spät, aber doch, nahm die Band Atempausen. Einen Tag nach dem "Geburtstag" Amerikas, spielte er auf Wunsch 4th Of July, Asbury Park (Sandy). Eine Ballade mit stimmungsführendem Akkordeon. Bald folgte eine getragene Version von The River, beendet wurde der Abend vorerst mit Born To Run.

Einfach, aber super

Im Zugabenblock wurde die Cadillac Ranch heimgesucht, das Jersey Girl angeschmachtet, bei Dancing In The Dark brav dem Titel entsprochen und zum finalen Twist And Shout die letzten Endorphine ausgeschüttet. Jubel und Ekstase. Springsteens Gassenhauermusik mag etwas gleichförmig und einfach sein, an einem Abend wie diesem spricht das Ergebnis jedoch eindeutig für ihn. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 07.07.2009)