Die Hoffnungen der Reformbewegung im Iran auf einen Wechsel haben sich nicht erfüllt - aber jene des Regimes, drei Wochen nach den gefälschten Wahlen langsam wieder zur Tagesordnung übergehen zu können, auch nicht. Beobachter berichten aus Teheran, dass die Menschen dort von einer neuen Kühnheit ergriffen sind, die auch nicht durch Verhaftungen und andere Repressalien erschüttert wird: Haben sie in den vergangenen Jahren die von ihnen entfremdete Regierung möglichst ignoriert und deren Regeln nur befolgt, wo es nötig war - auf der Straße -, so tragen sie nun gerade auf dieser Straße offen ihre Ablehnung und Verachtung zur Schau.

Die öffentliche Auflehnung wird die Ideologen hinter Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad jedoch wenig beeindrucken: Wenn das Volk irrt, dann muss es eben auf den richtigen Weg gezwungen werden. Der Irrtum wird bestenfalls erklärt durch böse Einflüsse von außen, die auf die Rädelsführer - die "Verräter" , deren Köpfe immer deutlicher gefordert werden - einwirken. Wenn die erst einmal weg sind, wird sich auch das Volk beruhigen.

Durch diese Rechnung ist jedoch soeben wieder deutlich ein Strich gemacht worden. Eine der Mullah-Vereinigungen in Ghom hat in einem Statement die Wahlen und die neue Regierung explizit "ungesetzlich" genannt. Das bringt jene in Schwierigkeiten, die ausschließlich Kräfte von außen am Werk sehen. Auch bei einem Teil des Klerus gilt plötzlich das Wort des religiösen Führers nicht mehr als das Ende der Debatte. Ein offener Riss geht durch das System. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 6.7.2009)