"Lügen wir uns nicht in den Sack" , sagt Maria Vassilakou, "in einer Regierung kann man mehr erreichen."

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STANDARD:Eva Glawischnig ist auf Babypause, Sie haben die Parteiführung übernommen. Was würden Sie ändern, wenn Sie völlig freie Hand hätten?

Vassilakou: Ich würde den Schwerpunkt inhaltlich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf die ökologische und soziale Modernisierung Österreichs legen. Zweitens würde ich ein ambitioniertes Projekt zur Nachwuchsförderung starten, sowohl auf Bundesebene als auch in den Landesorganisationen und bis in die kleinste Gemeinde hinein. Drittens: Ich würde unsere gesamte Kommunikation auf den Kopf stellen, auch mit dem Ziel, vor allem über das Internet tausenden Österreichern die Möglichkeit zu geben, bei uns mitzureden und mitzugestalten. Wir Grüne werden uns umstellen müssen.

STANDARD: Haben Sie das Eva Glawischnig auch schon mitgeteilt?

Vassilakou:Ich habe von ihr ein Arbeitsprogramm über den Sommer mit auf den Weg bekommen, das genau in diese Richtung zielt. Mir ist klar, dass ich im Herbst etwas Konkretes auf den Tisch legen muss. Da geht es um eine programmatische Neuorientierung und das unter Einbindung von möglichst mehreren tausend Menschen.

STANDARD: Die sollen das Parteiprogramm mitgestalten dürfen?

Vassilakou:Wir müssen aus unserem bisherigen Parteiprogramm ausbrechen. Wir müssen querdenken und das nächste Jahrzehnt erfassen. Das fängt bei der Ökologisierung der Wirtschaft an, geht über eine radikale Modernisierung des sozialen Absicherungsnetzes, hin zu den Eckpunkten für eine Steuerreform, die unsere Lebensqualität sichert und andererseits eine Antwort auf das Verschuldungsausmaß bietet. Wir brauchen kombinierte Antworten: Die Wirtschaftskrise wird uns bleiben, dazu erwartet uns eine Rekordarbeitslosigkeit. Wir stecken nach wie vor in einer Klimakrise, die um nichts besser geworden ist, nur weil sie thematisch in den Hintergrund gerückt ist. Außerdem explodiert die Armut. Da müssen wir Antworten finden. Und dabei wollen wir möglichst viele Menschen einbinden - indem wir zunächst die wesentlichen Fragen aufwerfen, eine Vision entwerfen und diese dann sehr offen zur Diskussion stellen.

STANDARD:Wie soll das gehen? In Wien haben sich 500 Unterstützer gefunden, die mitentscheiden wollen, Stichwort Vorwähler, und intern ist schon Feuer am Dach.

Vassilakou:Da muss ich entschieden widersprechen. Wir stehen vor einer Landesversammlung im November, bei der das erste Mal in der Geschichte der Grünen die Tausender-Marke bei den Stimmberechtigten überboten wird. Darauf bin ich sehr stolz. Wir haben von den hunderten Anträgen, die großteils über das Internet eingetrudelt sind, drei Viertel positiv bearbeitet.

STANDARD: Aber reibungslos ist das nicht über die Bühne gegangen.

Vassilakou:Zeigen Sie mir eine Partei, einen Verein, bei dem sich hunderte Menschen binnen Wochen melden und mitmachen wollen und wo das ganz ohne Diskussionen geht. Sonst wären wir ja auch nicht die Grünen.

STANDARD: Das geht schwer zusammen: Sie wollen die Basisdemokratie pflegen und möglichst viele Menschen einbinden, andererseits beklagt die Parteispitze seit Jahr und Tag, dass sie keine Entscheidungen treffen kann, weil zu viele Leute eingebunden sind.

Vassilakou:Beides muss gehen. Wir müssen nachdenken, wie Entscheidungsfindungen beschleunigt werden und gleichzeitig viele Menschen mitreden können - und zwar in einem Tempo, das der Alltagspolitik gewachsen ist.

STANDARD: Tempo ist ja nicht gerade eine grüne Stärke. Bei Ihnen dauert doch alles ewig.

Vassilakou:Hängen die Geschicke der Republik davon ab, wie schnell die Grünen ihre Struktur weiterentwickeln? Oder hängen sie etwa davon ab, wie rasch wir ein Öko-Subventionspaket schnüren? Oder wie rasch wir es schaffen, unser Sozialsystem zu modernisieren?

STANDARD: Aber man hat ja gerade bei der EU-Wahl gesehen, dass es die Grünen nicht schaffen, mit ihren Themen durchzukommen.

Vassilakou:Es liegt auf der Hand, dass wir mit einer konfliktbeladenen Diskussion die Inhalte, wofür wir stehen, überlagert haben. Interne Konflikte zum Wahlkampfstart sind schlecht, das Wahlergebnis war der Beweis dafür, so ihn einer gebraucht hat.

STANDARD: Die Grünen werden hauptsächlich in Menschenrechtsfragen wahrgenommen. Sonst werden sie kaum gehört.

Vassilakou: Menschenrechtsfragen bewegen sehr viele Menschen auf einer emotionalen Ebene. Denken Sie an die Lichterkette, die es kürzlich vor dem Parlament gegeben hat. Das haben zwei Studentinnen via Internet organisiert und Tausende kamen. Wenn die beiden Studentinnen zu einer Demo aufrufen würden, um zwei Millionen Dächer in Österreich für Fotovoltaik zu erschließen, werden keine Massen kommen. Da muss man andere Ausdrucksformen finden, und da bin ich wieder beim Internet. Wir müssen die Möglichkeit nützen, Diskussionen auch über soziale Netzwerke zu führen. Und wenn ich eine Prognose wagen darf: Erneuerbare Energie und die Eigenständigkeit in der Energiefrage werden in den nächsten Jahren zum Topthema avancieren.

STANDARD: Um etwas umsetzen zu können, brauchen Sie die Möglichkeiten dazu. In Wien könnte das ein Thema werden. Streben Sie das Amt der Vizebürgermeisterin an?

Vassilakou:Lügen wir uns nicht in den Sack. Aus der Opposition kann man einiges bewegen, aber selbstverständlich kann man als Regierender mehr erreichen. Ich finde jede Form von Anbiederung vor einer Wahl peinlich. Aber klar ist: Ich will die Grünen in eine Regierungsfunktion bringen.

STANDARD:Soll Van der Bellen als grüner Präsidentschaftskandidat nominiert werden?

Vassilakou:Das wollen wir im Herbst entscheiden.

STANDARD: Wenn es keinen grünen Kandidaten gibt: Gibt's eine Wahlempfehlung? Eher für Erwin Pröll oder für Heinz Fischer?

Vassilakou:Spätestens seit dem Skylink-Debakel bin ich vom niederösterreichischen Landeshauptmann schwer enttäuscht. Er singt hier in einem Duett mit dem Wiener Bürgermeister das Ich-weiß-von-nichts-und-es-geht-mich-nichts-an-Lied. 400 Millionen Euro sind im Nichts verschwunden. Dafür sind die zwei Landeshauptleute, die den Vorstand der Flughafen-Gesellschaft nach alter Parteibuchwirtschaft bestellen, politisch verantwortlich. Für mich steht Erwin Pröll genauso wie Michael Häupl für diese Kultur der Wurschtigkeit und der Parteibuchwirtschaft. Folglich werde ich dieser Tage alles andere als geneigt sein, hier eine Wahlempfehlung abzugeben. (Peter Mayr und Michael Völker/DER STANDARD-Printausgabe, 4./5. Juni 2009)