Einzigartiges spielt sich ab im Rechts- und Sozialstaat Österreich. Ein halbes Hunderttausend Pensionisten muss zusehen, wie ihre in Pensionskassen ausgelagerten Betriebspensionen dahinschmelzen wie Butter an der Sonne. Die Republik wäscht ihre Hände in Unschuld. Dabei hat der Nationalrat die Pensionskassen geschaffen und das Finanzministerium und die FMA haben sie genehmigt und laufend "überwacht" .

Bei den meisten Pensionskassen findet derzeit eine Enteignung der Pensionisten statt. Die Pensionen sind seit dem Jahr 2000 um bis zu 45 Prozent gekürzt worden. Keine Pensionskasse behauptet, diesen Rückstand je wieder aufholen zu können. Ganz Im Gegenteil: Man teilt den Pensionisten mit, sie würden auch in Zukunft mit Kürzungen rechnen müssen.

Als Österreichs Großbetriebe Ende der 1990er Jahre ihre Pensionsversprechen an Pensionskassen auslagerten, klang das alles noch anders. Die Fata Morgana der "New Economy" sorgte für rapide steigende Börsenkurse, und in ihrem Schatten kletterten auch die Börsenkurse der Realwirtschaft in lichte Höhen. Warum sollte das nicht ad infinitum so weitergehen? Pensionskassen und Arbeitgeber hatten einen guten Grund, das den Betriebsräten einzureden: Je höher die angenommene Rendite, desto geringer konnte das Pensionskapital sein, dass die Unternehmen einzahlen und die Pensionskassen verlangen mussten. Mitte bis Ende der Neunziger Jahre wurden durchschnittliche Renditen von acht, neun und zehn Prozent versprochen - und von den Betriebsräten geglaubt und paktiert...

Das Finanzministerium begutachtete und genehmigte als Aufsichtsbehörde jeden einzelnen Pensionskassenvertrag und Geschäftsplan. Auch dort hielt man es für möglich, dass vorsichtig anzulegendes Pensionsgeld Jahr für Jahr acht, neun und zehn Prozent Ertrag bringen kann. Und zwar nach den im Pensionskassengesetz definierten Kriterien: Ertragsannahmen sind demnach "mit der gebotenen Vorsicht zu wählen" , "nach einem hinreichend vorsichtigen versicherungsmathematischen Verfahren" und mit "angemessenen Sicherheitsabschlägen" . Wir aber wissen heute, dass risikoarme Erträge von acht, neun, zehn Prozent illusorisch sind und waren. Das von der Republik gezimmerte Pensionskassengebäude ist in sich zusammengestürzt. Wie aber reagiert die Republik darauf? Nimmt sie ihre Verantwortung wahr? Sie nimmt nicht.

Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Kassenpensionisten sind schon viele gemacht worden:

1.) Nachschüsse durch Unternehmen, die sich zu billig von Betriebspensionsversprechen freigekauft haben. ÖVP und Wirtschaftskammer: "Njet" .

2.) Nachschüsse durch Banken und Versicherungen, die die Pensionskassen mit so jämmerlichem Nicht-Erfolg betreiben. Wirtschaftskammer: "Njet" .

3.) Steuerliche Begünstigung der noch vorhandenden Pensionsauszahlungen als Wiedergutmachung für den Schaden, den die Republik verursacht hat. Bei Betrieben ist eine solche Nachsicht möglich, warum also nicht auch bei Pensionisten? Auch dazu sagt das Finanzministerium bisher "Njet" .

4.) Übertrag der noch nicht abgeschmolzenen Reste des Pensionskapitals an die gesetzliche Pensionsversicherung. Dort kostenlose Verwaltung und sicherste Anlage in einem eigenen, vom Steuerzahler nicht subventionierten Rechnungskreis. ÖVP: "Njet" .

5.) Steuerbegünstigte Auszahlung noch vorhandener Reste des Pensionskapitals an die Pensionsberechtigten zur freien Verfügung, allenfalls mit versicherungsmathematisch gerechtfertigten Abschlägen. SPÖ und ÖVP: "Njet" .

Perfid ist, dass die Republik dafür gesorgt hat, dass sie wegen ihrer inferioren Performance als Aufsicht über die Kassenpensionen nicht vor Gericht gezogen werden kann. Hier dreht das Pensionskassengesetz dem einzelnen Pensionisten eine lange Nase. Eine Einsichtnahme in die Urkunden zur Genehmigung der Pensionskassen, in die Jahresberichte der Staatskommissäre und Wirtschaftsprüfer und in die Veranlagungsstrategie der Kassen ist im Gesetz nicht vorgesehen. Mangels konkreter Informationen kann daher kein Pensionist Republik und Kassen klagen - denn was sollte er denn einklagen?

Die Verweigerung jedweder Information über die staatliche Genehmigung absurd hoher Gewinnerwartungen und die Verweigerung der Herausgabe von Informationen zu Veranlagungen und Erträgen ist ein weiterer Skandal im Zusammenhang mit den Pensionskassen. Ein rechtlicher Skandal und ein judizieller. Denn auch die Gerichte sehen keinen Grund dafür, dass Menschen, deren Pensionen auf fast die Hälfte zusammengestrichen wurden, wissen dürfen, wer diese wunderbare Geldverminderung erfunden, paktiert, betrieben und zu verantworten hat. Die Höchstgerichte und die FMA verweigern klagenden Pensionisten eine Einsicht über die restriktiven Vorschriften des Pensionskassengesetzes hinaus.

Man wird sehen, ob Regierung und Nationalrat diesem Skandal ein Ende bereiten. Oder der Verfassungsgerichtshof: Der Wiener Rechtsanwalt Alfred Noll kämpft im Namen von 2600 Pensionskassenberechtigten darum, dass einzelne Bestimmungen des Pensionskassengesetzes als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben werden. Hat er Erfolg, dann bestünde ein juristischer Aufhänger, um die Republik Österreich direkt auf Schadenersatz zu klagen...

Nachdem in der Politik weithin üblichen zynischen Kalkül haben die Pensionskassen-Pensionisten einfach das Pech der kleinen Zahl. 50.000 Menschen sind zwei Nationalratsmandate, und was wiegt das schon bei 183? Anders sieht die Sache aus, wenn man jene 500.000 Wähler/innen dazuzählt, die jetzt noch für eine Pensionskassen-Pension ansparen, aber heute schon sehr sicher sein können, dass diese die versprochene Höhe nie erreichen wird. Muss erst die FPÖ sich ihrer annehmen, damit SPÖ und ÖVP ihren Widerwillen gegen eine Wiedergutmachung aufgeben? (Josef Broukal/DER STANDARD-Printausgabe, 3. Juli 2009)