Wien - Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erhebt in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht über den Krieg im Gazastreifen schwere Anschuldigungen gegen die israelische Armee. Israel habe während der 22-tägigen Kampfhandlungen im vergangenen Dezember und Jänner wiederholt und ohne militärische Notwendigkeit zivile Ziele angegriffen.

Die palästinensischen Angaben, wonach dabei hunderte Zivilisten und mindestens 300 Kinder starben, seien korrekt. Damit erhebt diese Woche bereits die zweite Menschenrechtsorganisation schwere Vorwürfe gegen Israel. Human Rights Watch stellte am Dienstag einen Bericht über den Einsatz israelischer Drohnen vor und kritisierte, dass trotz der Verwendung dieser Präzisionswaffen ungenügend auf den Schutz von Zivilisten geachtet wurde.

Amnesty geht noch einen Schritt weiter. Aufgrund der hohen Opferzahlen könne nicht von unbeabsichtigten Fehlern der Armee gesprochen werden. "Zumindest hat die Armee bei diesen Vorfällen grob gleichgültig gehandelt" , sagt Donatella Rovera, die für Amnesty die Feldmission in Gaza geleitet hat, im Standard-Gespräch. Damit sei das Kriegsrecht klar verletzt worden. Amnesty spricht auch von Angriffen gegen Rettungskräfte. Dass die Israelis Flugzettel mit Warnungen vor bevorstehenden Luftangriffen abwarfen und manchmal sogar anriefen sei nutzlos gewesen: Aus Furcht vor den israelischen Bodentruppen hätten die Menschen ihre Häuser nicht verlassen können.

Vorwürfe gegen Hamas

Amnesty wirft auch der Hamas Kriegsverbrechen vor: Die permanenten Raketenangriffe gegen zivile Ziele hätten bei der Bevölkerung in Südisrael Panik ausgelöst. Die Hamas habe zivile Gebäude in Gaza für den Abschuss von Raketen genutzt. Belege dafür, dass die Islamisten auch menschliche Schutzschilder einsetzten, gebe es aber nicht.

"Ein klar einseitiger Bericht, der die Realität ignoriert" , lautete dann auch die Reaktion von Mark Regev, dem Sprecher der israelischen Regierung. Im Gespräch kritisiert Regev, dass ein Teil des Amnesty-Berichtes auf Interviews im Gazastreifen beruht. "Die Menschen im Gazastreifen leiden unter dem brutalen Hamas-Regime. Wie kann man da erwarten, dass sie die Wahrheit sagen" , sagte Regev. Die israelische Armee hat die Hamas-Militärmaschinerie mit "chirurgischer Präzision angegriffen."

Amnesty wirft der israelischen Regierung auch vor, jedes Ansuchen um Auskünfte oder auch nur um eine Stellungnahme zu dem Bericht abgelehnt zu haben. Das bestätigte Regev, verwies aber darauf, dass Israel in der Vergangenheit problematische Erfahrungen mit Amnesty gemacht habe.

Weiterhin in Gang ist unterdessen noch eine Untersuchung des Krieges durch die Vereinten Nationen unter Leitung des südafrikanischen Juristen Richard Goldstone. Sein Bericht wird im August erwartet. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 3.7.2009)