Skepsis ist in der Tat angebracht. Die Sozialversicherung und die Ärztekammer haben sich vergangene Woche auf ein umfassendes Paket zur Sanierung der Krankenkassen geeinigt. Angebliches Sparpotenzial laut Krankenkassen: 2,5 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren. Der kleine Haken an der Geschichte: die Ärzteschaft will von dieser Zahl nichts wissen. Überhaupt: Konkrete Ziffern zu den einzelnen Maßnahmen habe man nie angesprochen, sagen die Mediziner.

Sie wollen nun gemeinsam mit den Kassen-Experten Punkt für Punkt durchgehen, in welchen Bereichen des Gesundheitssystem wie viel zu holen ist. Die Vorstellungen gehen freilich auseinander. Die Ärztekammer möchte nämlich ihre "Vorleistungen" der letzten Jahre ebenfalls berücksichtigt sehen. Gemeint sind die Honorarabschlüsse samt Nulllohnrunden. Das bedeutet freilich nichts anderes, als dass das Sparpotenzial des jetzigen Sanierungspakets schrumpfen würde. Informell werden die 2,5 Milliarden Euro von den Ärztekammer-Experten gar als "Fantasiezahlen" bezeichnet.

Für das Verhandlungsklima zwischen Ärzten und Krankenkassen war die gewählte Vorgangsweise sicher vorteilhaft - ob es tatsächlich klug war, alle konkreten Zahlen auszuklammern, darf allerdings bezweifelt werden. Dazu kommt, dass die Pharmawirtschaft und die Apothekerkammer, die ebenfalls einen erklecklichen Beitrag leisten sollen, bisher nicht wirklich eingebunden wurden und Widerstand angekündigt haben.

ÖVP-Chef Josef Pröll hat also grundsätzlich schon recht, wenn er die im Raum stehenden Ziffern mit Vorsicht genießt. Als Finanzminister ist es seine Pflicht, in Krisenzeiten jeden Euro zwei- bis dreimal umzudrehen, bevor er ihn ausgibt. Und um kleine Summen geht es schließlich nicht. Segnet die Regierung das Kassenpapier ab, fließen in den nächsten drei Jahren mindestens 550 Millionen Euro vom Bund zu den Gebietskrankenkassen. Geht es nach dem vorgelegten Papier, wird es sogar noch mehr sein.

Umgekehrt kann sich der Bund auch nicht aus der Verantwortung stehlen. Es ist eindeutig dokumentierbar, dass die Kassen in den letzten Jahren zusätzliche Leistungen übernehmen mussten, ohne dafür auch zusätzliche Mittel zu bekommen. Als Beispiel soll nur die Einführung der Rezeptgebühr-Obergrenze genannt werden. Für chronisch Kranke und Menschen mit niedrigem Einkommen ist es unbestritten ein Vorteil, dass maximal zwei Prozent ihres Jahreseinkommens für die Rezeptgebühr aufgewendet werden müssen. Ein sozialpolitischer Meilenstein, wie man in der Politik zu sagen pflegt. Nur bedeutet das logischerweise auch weniger Einnahmen für die Krankenkassen. Pro Jahr sind das immerhin 70 Millionen Euro.

Und noch ein paar Zahlen zur Orientierung: Ende 2008 hatten alle Kassen zusammen rund 1,2 Milliarden Euro an Schulden. Selbst wenn alle im Regierungsprogramm enthaltenen Entlastungsschritte umgesetzt werden, bleiben den Kassen mehrere hundert Millionen Euro an Verbindlichkeiten.

Nur über die Ausgabenseite wird also eine komplette Entschuldung der Krankenkassen kaum möglich sein. Mittel- und langfristig werden zusätzliche Gelder für das Gesundheitssystem aus dem Steuertopf nicht zu vermeiden sein. Das sollte auch Finanzminister Josef Pröll bewusst sein.

Die Alternative wäre, wie bisher jedes Jahr zig Millionen Euro nur für Zinszahlungen aufzuwenden. Zwischen 2003 und 2008 wurden unter diesem Titel an die 140 Millionen Euro ausgegeben. Und dafür sind die Krankenversicherungsbeiträge der hart arbeitenden Bevölkerung definitiv nicht gedacht. Ein Aufschub der Gesundheitsreform ist also nicht akzeptabel. (Günther Oswald, DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2009)