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Ihr Wuppertaler Tanztheater machte sie zu einer der wichtigsten Kulturinstitutionen in Deutschland. Ihre Choreografien beeinflussten die Entwicklung des Tanztheaters: Pina Bausch

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Am Dienstag starb Pina Bausch 68-jährig in Wuppertal.

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Wuppertal - Pina Bausch ist tot. Sie war der ganze Stolz des deutschen Tanztheaters und wohl eine der einflussreichsten Choreografinnen des 20. Jahrhunderts überhaupt. Die 1940 in Solingen geborene Künstlerin residierte mit ihrer Kompanie in der ehemaligen "Lichtburg" in Wuppertal. Nur fünf Tage nach ihrer Krebsdiagnose ist sie, die noch am vorvergangenen Samstag auf der Bühne der Wuppertaler Oper gestanden ist, Dienstag Früh verstorben.

Bausch hatte mit 14 Jahren an der Essener Folkwang Hochschule unter der Leitung von Kurt Jooss ("Der grüne Tisch" ) Tanz zu studieren begonnen. Nach Abschluss ihres Studiums ging sie in die USA, wurde beim New American Ballet und an der New Yorker Metropolitan Opera engagiert. 1962 kehrte sie nach Deutschland zurück und tanzte bei Kurt Jooss' neugegründetem Folkwang-Ballett. Sieben Jahre später übernahm sie nach ersten Versuchen mit eigenen Choreografien (darunter Fragment, 1967 und Nachnull, 1970) dessen Leitung, und 1973 wurde sie Direktorin der ehemaligen Städtischen Bühnen Wuppertal, die von ihr - sozusagen in erster Amtshandlung - in "Tanztheater Wuppertal" umbenannt wurden. Am Beginn ihrer Karriere quittiert das konservative, auf Ballett und den Zwischenkriegs-Expressionismus fixierte Publikum Bauschs damals in Europa revolutionäre Arbeit noch mit Protest, türenknallendem Exodus bis hin zu nächtlichem Telefonterror. Die Künstlerin hatte also keineswegs einen leichten Start, doch als sie das Tanztheater Wuppertal übernahm, begannen die Wogen bereits, sich zu glätten, und die Eröffnung war, wie es nun heißt, "glanzvoll" .

Pina Bausch brachte einen ganz neuen Arbeitsstil ins ab nun keineswegs mehr provinzielle Haus und verweigerte alle rigiden Planungslogiken in Bezug auf ihre künstlerische Arbeit. Statt dessen tat sie immer nur, was ihr zu einer bestimmten Schaffenssituation als richtig und nötig erschien. Es dauerte nur etwas länger als zehn Jahre, und Bausch hatte es geschafft, mit allen Traditionen des bis dahin dominierenden europäischen Tanzes aufzuräumen.

Der deutsche Tanzkritiker Jochen Schmidt schrieb in einem Porträt über die Choreografin: "Schon am Ende der siebziger Jahre stand der Name Pina Bausch für ein Theater der befreiten Körper und des befreiten Geistes, für ein Tanztheater der Humanität, das auf der Suche war nach Liebe, Zärtlichkeit und Vertrauen zwischen den Partnern - und nach einer tänzerischen Sprache, die in der Lage sein würde, jene Kommunikation zwischen den Menschen zu ermöglichen, zu denen die bekannten Sprachen nicht mehr fähig waren."

Und Deutschland verliebte sich in Bausch, weil sie eine Hoffnung vermittelte - eine Hoffnung darauf, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Tanz eine Form gefunden würde, mit der sich der Wille ausdrücken ließ, es künftig und gültig besser zu machen, weiter als vorbildliche Demokratie zu reüssieren. Bausch gelang es, aus der vagen englischen Bezeichnung "Dance Theatre" mit dem "Tanztheater" eine eigene Bühnenphilosophie durchzusetzen, deren Kern eine Ehrlichkeit in der Erarbeitung von Stücken, eine Offenheit im Umgang mit den Tänzern - und in der Vermittlung der einzelnen Stücke eine Betonung eher des Prozesses als des Produkts bildeten.

Einfluss auf Tanzentwicklung

Obwohl in New York Anfang der Sechziger-Jahre das Judson Dance Theater wesentlich radikaler und letztlich auch folgenreicher für die Choreografie der vergangenen zehn Jahre war, hatte Bausch den stärkeren Einfluss in Europa, der sich dann während der Achtziger Jahre sogar auch in die Tanzszenen der USA hin auszuwirken begann.

Der Begriff des "Tanztheaters" wurde sogar zu einem - wenn auch heute nicht mehr gültigen - Synonym für fortschrittlichen Gegenwartstanz.

Bausch überzeugte mit Arbeiten wie Orpheus und Eurydike (1975), Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper ,Herzog Blaubarts Burg‘ (1977), Café Müller (1978), Nelken (1982) oder Die Klage der Kaiserin (1990). Auch als ihr Einfluss auf den zeitgenössischen Tanz schwächer zu werden begann, blieb Bausch eine der fixen Größen.

Jedes Jahr lieferte die Künstlerin verlässlich ein Stück ab, so auch noch 2009 eine viel beachtete Episodenarbeit, der sie noch keinen endgültigen Titel gegeben hatte, weil sie - wie üblich - auch nach der Premiere an dem Entwurf weiterarbeiten wollte. Das ist ihr nun nicht mehr gelungen. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 01.07.2007)