Ärzte, die neben ihrer medizinischen Tätigkeit zu schreiben anfangen, gelten als unsentimentale Chronisten menschlicher Hinfälligkeit. Man denke an Gottfried Benn, den dichtenden Hautarzt, der seinen Zeitgenossen besonders unbarmherzige Diagnosen des Verfalls stellte.

Der in Pinneberg nahe Hamburg geborene Autor Jens Petersen (33) absolvierte sein Medizin-Studium in München und Übersee, um heute in Zürich als Neurologe zu arbeiten. Der Verfasser der ungewöhnlich feinnervig erzählten Doppelmord-Studie Bis dass der Tod geht schon jetzt als einer der Größten in die Annalen des Ingeborg-Bachmann-Preises (25.000 Euro) ein. Petersen, dem Klagenfurter Beobachter das Fehlen jeglicher Egozentrik nachrühmen, misst zwei Meter Körpergröße.

Die Auswirkungen des medizinischen Brotberufs auf sein Schreiben betrachtet Petersen nüchtern: "Ich sehe in meiner Arbeit viel Schmerz." Leicht sei es für ihn nicht, das Stethoskop mit dem Keyboard zu vertauschen.

Aber: Er habe sehr unmittelbar mit den Menschen zu tun. Und natürlich seien die Erfahrungen mit Schmerz und Tod auch für seine Literatur prägend: "Die Dinge, die man direkt erlebt, prägen einen meiner Ansicht nach ganz besonders."

Petersen ist auch kein Unbekannter mehr: Sein Romandebüt Die Haushälterin (Deutsche Verlags-Anstalt), für den der gelernte Journalist 2005 mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, schildert die Adoleszenz eines reichlich lebensuntüchtigen Träumers in sorgfältig schattierter Detailfreudigkeit.

Philipp Merz - so der Name des 16-jährigen Ich-Erzählers - erlebt die Rituale der Erwachsenen, ohne an ihnen teilhaben zu können: ein spätgeborener Bruder Holden Caulfields (Der Fänger im Roggen), dem freilich die Aufmüpfigkeit seines Vorgängers fehlt.

Und so haftet auch Petersen, mehr noch aber seiner stilsicheren Prosa etwas allezeit Adrettes und Wohltemperiertes an. Die nachrückende Generation der die Welt vermessenden Autoren arbeitet heute mit Aussparungen - mit geduldigen Suchbewegungen, ohne sich dabei dem Chaos und der Bedrohung auszusetzen.

Der Cabrio-Fahrer Petersen wurde vom Klagenfurter Jury-Vorsitzenden Burkhard Spinnen ausgesucht. Er sei gerade zum Schreiben im Tessin gewesen, als ihm die Einladung zuteil wurde. Sein erster Gedanke war durchaus eines Neurologen würdig: "Er will wirklich mich? Spinnt der?" Danach sei er ins Freie gegangen. Und habe "in die Sterne geguckt". (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 29.06.2009