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Frühling und Sommer 2010 bei Hugo Boss

Foto: Getty/Julien M. Hekimian

Paris - Wer sich dieser Tage von der Mode Antworten erwartet, wie es bzw. er in einem Jahr aussehen wird, der wird enttäuscht sein. Bei den Pariser Männermodeschauen für Frühling und Sommer 2010 regiert - wie zuvor schon in Mailand - eine gewisse Ratlosigkeit. Die Designer bemühen sich, sie so weit wie möglich zu kaschieren.

Lockerheit ist das Stichwort der Stunde: sowohl auf dem Laufsteg als auch auf den Sitzreihen davor. Manche Plätze bleiben in dieser Saison leer, da nicht wenige Einkäufer und Journalisten aus Übersee zu Hause geblieben sind. Sie versäumen bis ins Detail ausgetüftelte und qualitativ hochwertige, aber keine wirklich außerordentlichen Kollektionen: Aufwärmübungen für Zeiten, in denen die Orders wieder größer werden.

Einen wirklichen Schnitzer darf sich dennoch niemand leisten. Also setzen die meisten auf die Konsolidierung des eingeschlagenen Weges. Bei Yves Saint Laurent spielt Designer Stefano Pilati weiterhin mit Silhouetten und Volumen, der gnadenlos gehypte Amerikaner Adam Kimmel stellt eine moderne, wenngleich sehr solide Variante des Marlboro-Cowboys vor. Ungaro präsentiert sich dagegen als Kaufhaus, in dem der Gigolo von Welt von allem ein bisschen kriegt.

Die professionellen Käufer, ergab eine Umfrage im amerikanischen Fachblatt Women's Wear Daily, schätzen in diesen Tagen vor allem Vielseitigkeit: Neben möglichst vielen Varianten des klassischen Anzugs verlangen sie zunehmend Sportmode von den Designern. Paul Helbers erfüllt ihnen diesen Wunsch bei Louis Vuitton vorbildlich. (Die Schau wurde übrigens vom österreichischen Model Michael Gstöttner eröffnet.)

Helbers hat an den New Yorker Fahrradboten Maß genommen und übersetzt ihre Outfits in einen aerodynamischen Patchwork-Look: Neopren wird mit Nylon gemischt, über der Regenjacke tragen die Jungs Boleros mit Kapuzen. Selbst die schimmernden Anzüge sind äußerst sportlich gehalten: Sie funkeln in einem Jackson-Pollock-Muster, dazu trägt man Sneakers mit Neonkappen an den Fersen.

Die konzentrierte Schau von Louis Vuitton sticht in einer Saison, in der viele Kollegen mit aufgesetzten Wohlfühlkollektionen Stimmung machen, durch ihre Klarheit hervor.

Genauso wie jene von Dries Van Noten, der leichte Schrumpfanzüge in wunderbaren Ethno-Mustern zeigt, und jene von Hugo. Diese ist eine Übung in gehobener Schneiderkunst. In der jüngeren und neuerdings "avantgardistisch" genannten Linie von Hugo Boss führt Designer Bruno Pieters seine Liebesbeziehung zum deutschen Expressionismus fort. Sprich: Die Schnitte sind scharf, die Kontraste stechend. Mäntel haben goldene Paillettenärmel, Anzugsakkos nach außen versetzte Revers.

So wirklich entscheiden, ob er für einen modernen Stummfilmstar oder für einen Matrosen auf Landgang schneidert, kann sich Pieters aber nicht. Für Ersteres sprechen die Gladiatorensandalen, für Letzteres die vielen Streifen-Sakkos. Offen bleibt die Frage, welcher Mann sich in Pieters kantigen Architektur-Look zwängen möchte. Diese Frage muss sich auch Jean-Paul Gaultier gefallen lassen, der eine stark von Courrèges und den 60ern inspirierte Kollektion und in Kooperation mit dem Jeans-Giganten Levi's Bustiers aus Denim zeigt.

Saison für Saison schlägt Gaultier neue, aus der Damenmode geklaute Kleidervarianten für den Mann vor. Bis jetzt blieb der durchschlagende Erfolg auf der Straße aus. Auch das könnte einen langsam ratlos machen. (Stephan Hilpold, DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.06.09)