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Kranke brauchen ganzheitliche Betreuung

Foto: AP/Rajanish Kakade

STANDARD: Kann Krebs psychische Ursachen haben?

Traun-Vogt: Man weiß seit langem, dass Krebs keine psychosomatische Krankheit ist. Die Ursache von Krebs liegt nicht im psychischen Bereich. Nichts, was Patientinnen und Patienten in ihrem Leben getan haben oder was ihnen an psychischer Verletzung widerfahren sein mag , kann eine Erkrankung wie Krebs auslösen. Es gibt aber immer noch Menschen, die das behaupten, da grenzen wir uns ganz klar ab.

Samonigg: Wir machen evidenzbasierte Betreuung. Zusammenhänge zwischen psychischen Verletzungen von Menschen in ihrer Vergangenheit und dem Ausbrechen von Krebserkrankungen herzustellen, lehnen wir strikt ab. Dafür gibt es keine evidenzbasierten Daten.

Traun-Vogt: Man weiß aber, dass eine Krebserkrankung ein massives Lebensereignis ist und schwerwiegenden Folgen für die Psyche haben kann. Ungefähr 30 Prozent der Patienten reagieren auf die Diagnose Krebs mit Depressionen, Angst-, Schlaf- oder Anpassungsstörungen. Die anderen 70 Prozent erfahren eine massive Irritation in ihrem Lebenskontext. Sie müssen eine neue Normalität finden, einen neuen Rahmen für ihr Leben, um die Krankheit bewältigen zu können.

STANDARD: Wie kann die Psychoonkologie dabei helfen?

Traun-Vogt: Die Aufgabe von Psychoonkologen ist es, die psychisch krankheitswertigen Störungen zu behandeln und jenen Patienten, die eine normale Verarbeitungsstrategie haben, bei der Bewältigung der Krankheit zu helfen.

Samonigg: Für die Ärzte ist die Psychoonkologie eine wesentliche Säule. Sie geht über die organmedizinische Betreuung hinaus, hat das subjektive Befinden des Patienten im Fokus. Spezielle psychoonkologische Betreuung ist als Ergänzung der psychologischen Basis-betreuung, die von Ärzten und Schwestern gemacht werden, als Standard zu fordern. Idealtypisch sollte die Betreuung im Team erfolgen. Psychologen sollen, wenn Patienten eine spezielle psychoonkologische Betreuung benötigen, am Krankenbett gleichberechtigt mit Ärzten und Schwestern sein.

STANDARD: Ist die psychoonkologische Betreuung noch nicht überall etabliert?

Samonigg: Sie sollte es sein. Manchmal gibt es sie aber nur auf dem Papier, dann, wenn Ärzte und Psychologen Kommunikationsprobleme haben.

Traun-Vogt: Im Wiener Krankenanstaltengesetz ist das Recht auf psychologische Betreuung im Krankenhaus festgeschrieben. Die Einlösung dieses Rechts funktioniert unterschiedlich gut. Es macht Sinn, speziell ausgebildete Psychologen mit Fachwissen über die Dynamik der Krankheit in einem multidisziplinären Team zu haben. Aber auch das ganze Team braucht eine spezielle Haltung den Patienten gegenüber.

STANDARD: Was macht diese "spezielle Haltung" aus?

Traun-Vogt: Dass man zur Kenntnis nimmt, mit der Diagnose Krebs Massives auszulösen. Die Krebsdiagnose ist oft eine trau-matische Krise, die ganz bestimmte und massive psychische Symptome zur Folge hat. Die Krebserkrankung verändert Lebenspläne. Da kann man nicht einfach sagen: "Gehn S' heim und leben S' normal weiter." Man muss erkennen, dass die ersten Gedanken von Patienten Tod und Sterben sind. Oft kommt es durch die Krankheit auch zu massiven körperlichen Veränderungen wie Amputationen, das wirkt sich auf das Individuum aus, auf die Familie.

Samonigg: Wir Ärzte sind ausgebildet, um organische Erkrankungen zu diagnostizieren, sie zu beeinflussen, nach Möglichkeit zu heilen. Das ist ein lobenswerter Ansatz, er greift aber speziell in der Onkologie viel zu kurz. Wir müssen den Menschen in seiner existenziellen Krise stützen und Halt geben. Es geht darum, die subjektive Seite des Patienten und seiner Angehörigen wahrzunehmen und sich entsprechend zu verhalten. Wir dürfen nicht in den Reflex verfallen: "Hier die böse Tumor- erkrankung, dort die extrem aggressive Therapie. Und wenn's nicht funktioniert, können wir nichts machen."

Traun-Vogt: Patienten, von denen man weiß, dass Heilung nicht mehr zur Diskussion steht, dass sie in absehbarer Zeit sterben werden, haben ein Recht auf gute Behandlung bis zuletzt. Das heißt nicht unbedingt Chemotherapie bis zum letzten Tag, sondern Schmerzfreiheit, Lebensqualität, Angstfreiheit, guter Schlaf.

Samonigg: Chemotherapie bis zum letzten Tag, da muss ich heftig widersprechen.

Traun-Vogt: Das habe ich etwas provokant gesagt, aber es kommt vor.

Samonigg: Ja, es gibt Untersuchungen aus den USA, dass die Anzahl der Notfalleinlieferungen und Chemotherapien in den letzten Lebenswochen zunimmt. Ein Problem, das auf mangelndes Wissen und fehlende Haltung zurückzuführen ist. Das sind Ersatzaktionen, weil es Ärzte und Schwestern nicht aushalten, dass das Leben dieses Menschen begrenzt ist. Man weist ihn lieber in eine Intensivstation ein, anstatt eine optimale palliativmedizinische Betreuung zu geben.

Traun-Vogt: Es ist ein Problem von Abteilungen, die sich nicht mit dem End-of-Life-Thema auseinandersetzen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es ab einem gewissen Punkt keine gute Wirkung der chemotherapeutischen Medikation mehr gibt.

STANDARD: Wie bewältigt man als Arzt die Herausforderung Kommunikation?

Samonigg: Studien belegen, dass das Erstgespräch ganz entscheidend die weitere Lebensqualität des Patienten beeinflusst. Kommunikation kann sehr verletzend sein. Missglückte Aussagen können auch Wunden setzen, die über Monate oder Jahre nur sehr schlecht zu heilen sind. Umgekehrt kann ein gutes Erstgespräch eine lebenslange Stütze sein.

STANDARD: Welche Grundfehler machen Ärzte und Ärztinnen im Gespräch?

Traun-Vogt: Man wirft Patienten Informationen in sehr knapper Form hin, berücksichtigt nicht, wo der Patient steht, was die Patientin erwartet, was er oder sie mit Krebs verbindet, welche Erfahrungen es in der Familie bereits mit der Krankheit, dem Tod gibt. Auch Heilung zu versprechen ist ein großer Fehler, an dem Patienten lange leiden, wenn sie nicht eintritt. Es geht um eine partnerschaftliche Haltung. Der Arzt soll nicht den Plan vorgeben, sondern gemeinsam mit dem Patienten ein Konzept zum Umgang mit der Krankheit entwickeln. Im Englischen gibt es den schönen Begriff des "Shared Decision Making" - gemeinsam eine Entscheidung treffen. Ärzte sind Experten für die Behandlung, Patienten für ihr Leben.

STANDARD: Lernen Ärzte eigentlich, schwierige Gespräche mit Patienten zu führen?

Traun-Vogt: Das ist im neuen Medizin-Curriculum vorgesehen. Ein großer Fortschritt, dass den jungen Medizinern beigebracht wird, wie man mit Patienten kommuniziert. Denn Patientenzufriedenheit geht mit dem Einverständnis zu einer Behandlung einher, von der Kooperationsbereitschaft hängt ja sehr vieles ab.

Samonigg: Es ist interessant, dass dieses spezielle Thema bei manchen Studenten nicht auf große Gegenliebe stößt. Viele lernen lieber die Basics der Organmedizin. Auch bei den Ärzten ist die Bereitschaft zu Aus-, Weiterbildung oder Supervision nicht groß genug. Kommunikation kann man bis zu einem gewissen Grad lernen, sie ist aber auch eine Frage des Vorbildes. Ich bin immer wieder verwundert, wie wenig man sich der Kraft positiver Gespräche bewusst ist. (Jutta Berger, DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2009)