Bild nicht mehr verfügbar.

Archivbild: Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn durchschneiden am 27. Juni 1989 feierlich den "Eisernen Vorhang" an der Grenze.

Foto: REUTERS/Ferenc Redei/NEPSZABADSAG

Wien - Im Grunde war es ein genialer Medien-Coup, als Außenminister Alois Mock (ÖVP) und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn am 27. Juni 1989 feierlich den "Eisernen Vorhang" an der Grenze durchschnitten. Denn der Abbau der Sperranlagen auf ungarischer Seite hatte bereits fast zwei Monate vorher am 2. Mai begonnen.

Dennoch waren es die Bilder der beiden Minister mit Drahtscheren in der Hand, vereint an der Zerstörung des Stacheldrahtes werkend, die im Gedächtnis blieben und um die Welt gingen. Die Szene nahe dem Grenzübergang Klingenbach/Sopron verselbstständigte sich sogar in der populären Erinnerung so sehr, dass viele Menschen in Österreich bis heute glauben, dies sei der erste Schnitt durch den "Eisernen Vorhang" gewesen. Ein Beispiel, wie stark die Bilder die Wahrnehmung historischer Ereignisse prägen.

Irritation und Idee

Die Grundidee für dieses mediale Husarenstück kam von einem Medienmann, nämlich dem Fotografen Bernhard Holzner. Der Tiroler, der schon zu Beginn des Abbaus Fotos von ungarischen Grenzsoldaten gemacht hatte, wie sie den Stacheldraht einrollen und die Tragpfosten herausreißen, war über den mangelnden medialen Widerhall dieses historischen Schrittes der ungarischen Reformregierung irritiert. So sei er zu Mocks damaligem Pressesprecher Gerhard Ziegler gegangen und habe ihm einen Fototermin an der Grenze vorgeschlagen: "Jede Straße wird ja offiziell eröffnet", erinnert er sich an die Begründung im Gespräch mit der APA. Dass in den internationalen Medien zuvor nur wenige Bilder vom Abbau des "Eisernen Vorhanges" veröffentlicht worden seien, "hat mich einfach gestört".

Dieser Ablauf der Ereignisse wird auch von Mock bestätigt, der jüngst in einem Schreiben an die deutschen Behörden unterstrich: "Ich bestätige gern, dass die Initialzündung für ein Photo, mit welchem der Abbau der technischen Sperren an der ungarisch-österreichischen Grenze einer breiten Öffentlichkeit bekanntgemacht werden sollte, von Herrn Bernhard Holzner stammt." Der Außenminister trug die Idee an die ungarische Seite heran, und so wurde der Akt mit den Drahtscheren als Abschluss eines zweitägigen Arbeitsbesuchs von Horn in Österreich vereinbart. Nachdem sie den Stacheldraht unter großer Medienaufmerksamkeit symbolisch durchtrennt hatten, gab Mock seiner Hoffnung Ausdruck, der "Eiserne Vorhang" werde "in der Geschichte später einmal eine Periode des Irrtums dokumentieren, in der Völker durch Zäune getrennt waren".

"Floh ins Ohr" gesetzt

Der Fototermin am Stacheldrahtzaun brachte jedoch bald ungeahnte Konsequenzen mit sich. Ungarn war für zahlreiche DDR-Bürger durch die jährlichen Urlaube am Balaton (Plattensee) bereits ein vertrautes Land. Umso elektrisierter wurden viele, als sie sahen, dass dort auf einmal die Sperren an der Westgrenze entfernt wurden. Auch wenn aufgrund der mehrwöchigen Wartezeiten für eine Ausreise aus der DDR wohl nicht ausschließlich die Fernsehbilder den Anstoß für viele gaben, in diesem Sommer nach Ungarn zu reisen, setzten die Bilder des gemeinsamen Abbaus der Grenzsperre zahlreichen DDR-Bürgern den sprichwörtlichen "Floh ins Ohr", um eine Flucht in den Westen überhaupt in den Blick zu nehmen.

Fluchtwelle

In den Sommermonaten überschlugen sich dann die Ereignisse: Zehntausende DDR-Bürger weigerten sich nach dem Sommerurlaub, in die Heimat zurückzukehren; viele von ihnen versuchten, die - weiterhin bewachte - grüne Grenze nach Österreich zu überqueren. In einer spektakulären Aktion am Rande der Friedensdemonstration "Paneuropäisches Picknick" am 19. August gelang es dann Hunderten, ein hölzernes Grenztor zu durchstoßen und nach Österreich "rüberzumachen". Schließlich entschied sich die Budapester Regierung in einem beispiellosen Schritt dafür, am 11. September um 0.00 Uhr die Westgrenze für ausreisewillige DDR-Bürger zu öffnen - sehr zum Unwillen der Führung in Ost-Berlin. Dann waren es nur mehr knappe zwei Monate bis zum Fall der Berliner Mauer und dem endgültigen Sturz des DDR-Regimes, die am 3. Oktober 1990 schließlich zur Wiedervereinigung Deutschlands führten.

Holzner wurde am 30. April 2009 zum 20. Jahrestag der damaligen Ereignisse mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt. In seiner Laudatio sprach der deutsche Botschafter Gerd Westdickenberg dem Fotografen seinen Dank aus - im Namen der damals über Ungarn in den Westen geflüchteten DDR-Bürger, die "Ihnen gern persönlich danken (würden), wenn sie heute hier wären". (Petra Mihaly/APA)