Berlin - Eine kleine Träumerei erlaubt sich Peer Steinbrück (SPD) trotz der düsteren Zahlen. "Bei normaler Konjunktur hätte ich Ihnen heute eine Nettoneuverschuldung von sechs Milliarden Euro präsentiert" , erklärt der deutsche Finanzminister am Mittwoch in Berlin vor Journalisten, als er den Entwurf für den Haushalt 2010 vorlegt, den das Kabinett zuvor gebilligt hat.

Doch in Wirklichkeit ist er von solchen Zahlen Lichtjahre entfernt. Auf 86 Milliarden Euro wird sich das deutsche Defizit nächstes Jahr belaufen. Das ist nicht nur ein neuer, sondern auch ein einsamer Rekord. 1996, als CSU-Finanzminister Theo Waigel ("Herr der Löcher" ) den bis jetzt nicht erreichten Rekord aufstellte, betrug das Loch "nur" 40 Milliarden Euro.

Wofür die 86 Milliarden Euro gebraucht werden, kann Steinbrück schnell erklären: Mit 40 Milliarden Euro müssen Steuerausfälle wegen der miserablen Konjunktur ausgeglichen werden. 36 Milliarden Euro fließen in die Sozialversicherungssysteme, auch dort gibt es enorme Ausfälle. Der Rest geht für diverse Konjunkturprogramme der Bundesregierung drauf. Im schlimmsten Fall könnten auch hundert Milliarden Euro an neuen Krediten nötig sein. Bis 2013 wird Deutschland neue Schulden in der Höhe von insgesamt 310 Milliarden Euro machen. Anfang 2010 rechnet Berlin mit einem Defizit-Verfahren der EU-Kommission

Doch Steinbrück lässt sein Ziel der Konsolidierung nicht aus den Augen. Nach dem Ende der Wirtschaftskrise müsse Deutschland wieder diesen Pfad einschlagen - auch, damit das Land international kreditwürdig bleibe. Eine scharfe Warnung richtet der Finanzminister an den Koalitionspartner: Angesichts dieser Haushaltslage seien "vollmundige Steuersenkungs-Programme und -versprechen sehr waghalsig." CDUund CSU werben im Wahlkampf ja mit Steuersenkungen. Die Sozialdemokraten hingegen wollen nur die unteren Einkommen entlasten, bei den Reichen hingegen "zulangen".

Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer (derzeit 19 Prozent) schließen jedoch sowohl Steinbrück als auch Kanzlerin Angela Merkel aus. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, plädiert hingegen für mehr "Ehrlichkeit" und eine 25-prozentige Verbrauchersteuer. (Birgit Baumann, Berlin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.6.2009)