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Nur acht Wagen tuckern diesen Nachmittag aus dem Bauch der Fähre. Fünf sind nicht weiter auffällig, drei sind museumsreife Oldtimer. Drei überladene Kleinlaster holpern hinter ihnen über die Rampe. Knapp drei Stunden lang sind sie alle über die Fluten geschaukelt und verschwinden jetzt in den Kopfsteinpflaster-Straßen: wenig los an Bord der "Eladia Isabel" diesen Nachmittag, kein Gedränge auf der Fähre über den Río de la Plata zwischen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires am Süd-und Colonia del Sacramento in Uruguay am Nordufer.

Der Grenzfluss zwischen Argentinien und Uruguay hat keine Quelle und mündet ins Meer. Er ist kein Fluss im eigentlichen Sinn, eher eine Bucht, ein Fjord, ein eiszeitlicher Axthieb ins untere Drittel Südamerikas, eine Beschäftigungsinitiative der Geologie. Denn gäbe es ihn nicht, bräuchte man hier keine Schiffe und Ramón Jiménez wäre arbeitslos - mit ihm ein paar Dutzend Kollegen.

Ramón ist Autoeinweiser auf der Fähre. Aber er hat schon bessere Zeiten gesehen - damals, als reiche Argentinier regelmäßig mit ihren Luxusschlitten in langer Reihe anstanden, um fürs Wochenende überzusetzen. Damals, als Ausflügler in Scharen nach Colonia schipperten. Dieses Damals ist nur zwei, drei Jahre her.

Jetzt ist Ramóns Job gefährdet. Die Fähren fahren seltener - die von Ramón nur noch zweimal am Tag: tiefe Rezession in Argentinien und Uruguay, der Peso abgewertet, die privaten Bankkonten zeitweise eingefroren. Da reist kaum noch einer zum Kurzurlaub ins Nachbarland.

Der Río de la Plata ist der Mündungstrichter von Río Uruguay und Río Paraná, die sich 300 Kilometer entfernt im Hinterland vereinigen. An seiner breitesten Stelle ist er 220 Kilometer breit. Sein Wasser ist angenehm warm, sein Ufer gesäumt von Pinien, von Kiefern, von Eukalyptusbäumen, von endlosem Weideland und goldbraunen Sandstränden - alles wie seit Jahrzehnten, manchmal Jahrhunderten.

Weil Ramón jetzt früher Feierabend macht, kann er nun den Fluss aus einer anderen Perspektive erleben. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang baut er sich regelmäßig mit seiner Angel auf den Felskuppen im seichten Flusswasser am Ortsrand von Colonia del Sacramento auf, schaut im Sonnenuntergang den Booten hinterher - und lässt sich ab und zu von Fremden fotografieren.

Wer jetzt knipst, kommt von weiter her: Nach und nach verschlägt es immer mehr Europäer und US-Amerikaner an den Río de la Plata, denn nach der Peso-Abwertung sind aus den Hochpreisreiseländern Argentinien und Uruguay Schnäppchenziele geworden. Die Nebenkosten sind niedrig, die Preise der Hotels und Restaurants aufgrund der veränderten Wechselkurse abgestürzt.

In den schönsten Zimmern der schönsten Hotels in der schönsten Altstadt Uruguays wohnen jetzt die Gringos aus dem Norden: Als noch Geld da war, ist Colonia del Sacramento Straßenzug um Straßenzug restauriert und von der Unesco als Weltkulturerbe unter Schutz gestellt worden. Früher war der Bilderbuchort an den Wochenenden des Südhalbkugel-Sommers voll mit lauten Tagesausflüglern aus Argentinien. Heute ist es still in den Gassen. Colonia hat seine Idylle zurück.

1680 gründeten die Portugiesen die Stadt, wollten ein Gegengewicht zur prosperierenden spanischen Gründung Buenos Aires setzen und errichteten mächtige Festungsanlagen, in deren Schatten sich bis heute bonbonbunte Häuschen ducken - die größeren mit langen Korridoren, die in verträumte Innenhöfe münden. Mit Reichtümern, die niemand von der Straße aus erahnen sollte.

Ein paar Wirte haben in der Altstadt von Colonia del Sacramento Tische herausgestellt. Kerzen flackern im sanften Wind, zwei Pferde traben über das Kopfsteinpflaster. Von irgendwoher dringt Tangomusik aus einer Lautsprecherbox. Im Restaurant gegenüber spielt jemand Gitarre. Vier Amerikaner prosten sich mit Mendoza-Rotwein zu, bekommen mehr als tellergroße Steaks serviert. Einen Tisch weiter hockt ein Pärchen aus Oberösterreich, ist bereits beim Nachtisch angekommen und probiert Queso con dulce - Käse mit Quittengelee. Unter zehn Euro kostet eine mehrgängige Mahlzeit hier jetzt pro Person - weniger als die Hälfte dessen, was die Wirte früher berechnet haben.

Ramón hat sich an einen der Tische gesetzt, plaudert mit dem Kellner, und irgendwann stoßen die beiden auf Kosten des Hauses mit argentinischem Sherry an. Auf den nächsten Tag. Auf viele Fähr- passagiere. Auf die Rückkehr besserer Zei- ten. (DER STANDARD/rondo/21/03/2003)