Erste kleine Blessuren: Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) wollen als Paar nicht sein wie "Alle Anderen" , der gemeinsame Urlaub ist Spielfeld und bald auch Herausforderung.

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Bärendoppel: Maren Ade (li.) und Birgit Minichmayr.

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Wien - Ein junges Paar auf Sommerurlaub. Chris ist Architekt, Gitti PR-Frau bei einer Plattenfirma. Die beiden albern herum, faulenzen in der Sonne, haben eine gute Zeit. Sie umkreisen einander noch ein wenig unsicher, punktuelle (Selbst-)Zweifel scheinen aber bewältigbar - bis ein alter Freund mit seiner Frau auftaucht. Dieses konkrete Gegenüber forciert eine eigentümliche Dynamik.

Bis dahin hatte das Spiel mit Identitäten etwas Leichtes: Chris gibt den Jungvater. Gitti stellt sich tot. Chris geht geschminkt unter Leute. Gitti wäre manchmal so gern "anders" für ihn. Aber bald bekommen die Verstellungen und Verkleidungen eine größere Tragweite, werden kalkulierter, paradoxerweise auch unbeholfener und schließlich existenziell, zumindest was die Frage des Zusammen-leben-Könnens betrifft.

Man kennt solche Situationen, nicht zuletzt aus dem Kino. Aber ihre große Wirkung in Alle Anderen verdanken sie der Genauigkeit, mit der Maren Ade, die Autorin und Regisseurin, all das, das Sprechen und die Umgangsformen, die labilen Befindlichkeiten und harten Konfrontationen, das Glück und das Unglück nachbildet - und dabei ein ganz feines Flirren zwischen größter Realitätsnähe und der Kenntlichkeit als Fiktion, als famoses Schauspiel beibehält.

"Ich wollte" , sagt Ade im Gespräch mit dem Standard, "diese vielen Kleinigkeiten, die Beziehungen ausmachen, zeigen und erzählen. Und die Schwierigkeiten, eine gute Beziehung zu führen, obwohl man jemanden liebt. Ich habe mir die beiden immer wie ein unentwirrbares Gebilde vorgestellt: Wenn einer an der einen Seite zieht, dann kippt der andere mit und umgekehrt. So empfinde ich Beziehungen. Den Urlaub fand ich dafür gut, weil das genau der Rahmen ist, wo man total aufeinander zurückgeworfen ist. Das kennt jeder. Ich fand es gut, so eine banale Grundsituation zu haben."

Verdichtete Gegenwart

Schon mit ihrem ersten Langspielfilm Der Wald vor lauter Bäumen (2003) gelang Ade mit einer ähnlich gewöhnlichen Ausgangslage ein ungewöhnlich dichtes Gegenwartsdrama:Ein junge Lehrerin verlor darin nach Umzug und Schulwechsel sukzessive den Boden unter den Füßen.

Alle Anderen, der seiner Regisseurin den Großen Preis der Berlinale-Jury bescherte, hat Ade ausgehend von den Figuren entwickelt. In viel Fein- und Fabulierarbeit - etwa mittels frei geschriebener Monologe, "alles, was Gitti so den ganzen Tag quatschen könnte" .

Birgit Minichmayr, die für ihre Verkörperung dieser Gitti bei der Berlinale mit dem Preis der besten Darstellerin gewürdigt und jüngst zur neuen Salzburger Buhlschaft gekürt wurde, kannte Ade aus anderen Filmen: "Abgesehen davon, dass sie toll spielt, hat sie auch selbst so eine Verwegenheit, die die Rolle braucht. Mir bringt es total viel, Schauspieler in echt zu sehen. Ich hatte sie mal auf einer Party beobachtet und fand sie schon da sehr interessant."

Ein halbes Jahr vor Drehbeginn verreisten Regisseurin und Darsteller für eine Woche, mit der damaligen Drehbuchfassung im Gepäck: "Ich habe noch einmal genau geguckt: Wie sind die beiden als Paar? Was erzählt sich leicht, was muss ich vielleicht noch hin- einschreiben? Wie verändert sich die Figur, wenn Birgit sie spielt oder Lars? Und das habe ich den beiden dann noch einmal angepasst."

Auch wenn Alle Anderen primär um das Paar und seine Beziehung kreist, so wird hier noch einiges andere miterzählt, das Bild einer Generation entworfen, die Nutznießer der materiellen Errungenschaften ihrer mittelständischen Eltern ist. Gut ausgebildete Dreißigjährige, die selbst einer nicht annähernd so gesicherten Zukunft entgegensehen. Ein konkretes Element, an dem sich das festmacht, ist der Hauptschauplatz, das Ferienhaus, das Chris' Eltern gehört:

"Wir fanden toll, dass das Haus etwas Labyrinthisches hat und ab einem gewissen Zeitpunkt auch etwas Klaustrophobisches unterstützt. Es ging auch darum, dass man ein Stück Deutschland nach Sardinien verpflanzt, dass der Hintergrund nichts Neutrales hat. Sondern eben dieses Elternhaus ist und auch eine Reibungsfläche für die beiden bietet, sie am Anfang zu Kindern macht. Das kippt dann schleichend - so, als würde das Haus etwas mit ihnen machen, bis sie die Rollen von Vater und Mutter einnehmen."

Ade, selbst Jahrgang 1976, hat in München an der Filmhochschule Produktion und Regie studiert. Janine Jackowski hat sie dort kennengelernt, mit ihr und anderen arbeitet sie seither unter dem schönen Namen "Komplizen Film" zusammen, realisiert eigene und andere Projekte. Eines der letzten war Hotel Very Welcome von Sonja Heiss, eines der nächsten wird Die Schlafkrankheit, der neue Film von Ulrich Köhler (Montag kommen die Fenster) sein:

"Wenn wir drehen, bin ich irgendwann nur noch Regisseurin und führe dann auch Kämpfe mit allem, was dazu gehört. Aber es macht mir Spaß, mich danach wieder mit Stoffen zu beschäftigen. Ich mache gerne Filme und muss das nicht immer in der selben Funktion machen. Für mich ist es eine Bereicherung, mitzubekommen, wie andere Regisseure arbeiten." (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 24. 6. 2009)