Kinderarzt Peter Scheer: "Röntgen nur zum Wohle des Patienten"

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STANDARD: Sie haben die von der Innenministerin in der geplanten Fremdenrechtsnovelle vorgesehene Röntgenuntersuchung zur Altersfeststellung von jugendlichen Asylwerbern strikt abgelehnt. Mit Ihnen sprachen auch der Kinderpsychiater Ernst Berger und der Psychologe Heinz Fronek von einem "Missbrauch der Medizin". Gab es eine Reaktion aus dem Ministerium?

Scheer: Nein, an mich ist nichts vorgedrungen, aber innerhalb der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, der rund 90 Prozent der österreichischen Kinderärzte angehören, gab es breite Zustimmung, auch von unserem Präsidenten.

STANDARD: Wie wurde bisher das Alter von jungen, mitunter unbegleiteten Asylwerbern festgestellt?

Scheer: Das Einzige, was aussagekräftig und möglich ist, ist eine Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt und das Gespräch in freundlicher Umgebung - immer mit einem Dolmetscher. Alles andere gründet auf gar nichts.

STANDARD: Was muss bei einer Röntgenuntersuchung angeschaut werden? Wo kann man sicher das Alter eines Menschen feststellen?

Scheer: Nur beim Reifen des Handwurzelknochens gibt es eine eindeutige Reihenfolge der Verknöcherung, die uns Aufschluss über das Alter des Patienten gibt. Das geht bis 15 wunderbar, dann, bei Mädchen meist etwas früher, sind die Wachstumszonen ausgereift.

STANDARD: Das heißt, man kann sicher feststellen, ob jemand schon 15 ist, aber nicht, ob er 18 ist. Und das wäre eigentlich die relevante Frage im Frendenrecht.

Scheer: Genau, eine Antwort darauf konnte man bisher nicht bekommen. Wobei es auch vor dem 15. Lebensjahr nicht bei jedem gleich ist. Ein Problem ist es zum Beispiel, wenn jemand schlecht ernährt wurde, da hinkt die ganze Entwicklung nach. Wir sehen das bei uns vor allem bei Kindern, die an Magersucht erkrankt sind. Aber Mangelernährung kann natürlich auch eine Folge von einem Leben im Krieg und auf der Flucht sein.

STANDARD: Abgesehen von der mangelnden Aussagekraft nannten Sie die von der Ministerin geforderte Untersuchung auch eine Menschenrechtsverletzung.

Scheer: Röntgenstrahlen stellen eine Verletzung dar. Aufgrund einer rechtlichen Verordnung eine Verletzung vorzunehmen, die nicht dem Wohle des Patienten dient, verstößt klar gegen die Menschenrechtskonvention. Außerdem ist es eine schlechtere Behandlung von Asylwerbern und damit diskriminierend. Und ein Arzt, der das macht, verstößt gegen das Ärztegesetz.

STANDARD: Also dürften Sie einer solchen Verordnung als Arzt gar nicht Folge leisten?

Scheer: Nein, das dürfen wir Ärzte nicht. Das werden wir von der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde auch genau so kommunizieren und auch der Ärztekammer empfehlen.

STANDARD: Wie kommt es überhaupt dazu, dass solche Maßnahmen vom Ministerium vorgeschlagen werden? Wurden keine Fachleute hinzugezogen

Scheer: Doch, es gab schon vor Monaten eine Tagung im Ministerium, wo zweifelsfrei festgestellt wurde, dass solche Untersuchungen Nonsens sind. Auch der Kinderarzt Rudolf Schmitzberger, der Koordinator der Ärztekammer in der interministeriellen Arbeitsgruppe, hat das dort vor Ort gesagt. Auch andere Untersuchungen, wie jene diskutierten Vermessungen von verschiedenen Organen oder Blutuntersuchungen wurden erörtert. Doch es gibt da keine brauchbaren Daten.

STANDARD: Schmitzberger spricht nun von einer neuen Berliner Studie: "Möglicherweise" könne man an der Verknöcherung des Schlüsselbeines feststellen, ob jemand 18 ist. Er betonte aber, dass das Ministerium dazu eine Konferenz versprochen hat, die noch aussteht.

Scheer: Von dieser Untersuchung am Schlüsselbein ist mir allerdings noch nichts bekannt.

STANDARD: Schmitzberger betont, dass das Schlüsselbein auf Thoraxröntgen zu sehen ist, die nach dem Tuberkulosegesetz zumindest bei erwachsenen Asylwerbern ohnehin vorgesehen sind. Wäre so eine Altersbestimmung für Sie in Ordnung?

Scheer: Aus menschenrechtlicher Sicht auch nur dann, wenn der Proband damit einverstanden ist. Außerdem gibt es beim Tuberkulosegesetz ja auch einen großen Ermessensspielraum. Ich habe das Gefühl, dass man mit dieser Regelung vor allem bei Asylwerbern voll zuschlägt, während man sie ausgerechnet bei Berufsgruppen, wie etwa uns Ärzten, die sich eigentlich regelmäßig notwendigen Kontrollen unterziehen müssten, in der Praxis nicht so streng auslegt. Und zudem müsste man sich einmal die Berliner Studie genau anschauen. Vor allem auch, ob man das mit einem Röntgen überhaupt erkennen kann oder tatsächlich eine teure Magnetresonanztomografie bräuchte. Die wird man in Traiskirchen kaum machen können. Wer sollte das dann überhaupt bezahlen?

STANDARD: Welche Erfahrungen haben Sie mit jungen Asylwerbern?

Scheer: Das Gespräch und der Gesamteindruck, wie sie die WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm.) vorsieht, sind das Wichtigste. Man sieht es eh nach ein paar Minuten, wenn jemand nicht mehr adoleszent ist. Im Zweifelsfall entscheidet man für den Patienten. Denn wir wollen aus menschenrechtlichen Gründen nicht, dass man jemanden schlechter behandelt, nur weil er erwachsen ist. Wir wollen, dass man Kinder besonders gut behandelt. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 23.6.2009)