Es sei doch nur normal, dass der Staatspräsident vor dem Parlament sprechen dürfe: Mit diesem Argument rechtfertigten die Élysée-Berater den Großauftritt Nicolas Sarkozys am Montag in Schloss Versailles. Sarkozys Rede vor den 920 eng nebeneinandersitzenden Abgeordneten und Senatoren stellt auf jeden Fall einen Bruch mit dem Geist der Fünften Republik dar. Sogar Charles de Gaulle, der sich die Präsidialverfassung 1958 auf den Leib geschneidert hatte, wäre nicht auf die Idee gekommen, ein Rederecht vor dem Kongress zu verlangen. In seiner Vorstellung stand der vom Volk gewählte Staatschef über den Parteien, der Regierung und der Politik.

Indem sich Sarkozy das Rederecht selbst zuschanzt, wirft er diese Gewaltentrennung über den Haufen. Der "Omnipräsident" ordnet sich nun auch das Parlament unter, nachdem er sich schon Durchgriff auf Justiz und Medien gesichert hat. Auf die Justiz, indem er die Weisungsbefugnis der Exekutive - also des Élysées - über die Staatsanwaltschaft auch im politischen Bereich bekräftigt, auf die Medien, indem er die Direktoren des Staatsrundfunks selbst bestimmt.

Das Parlament ist schon seit einigen Jahren auf den Staatschef "zugeschnitten", wird es doch im Gefolge der Präsidentenwahl gewählt; und wenn die Bürger ihrem frisch gekürten Staatschef nicht gleich eine feindlich gesinnte Nationalversammlung ins Nest setzen wollen, geben sie ihm eine starke Mehrheit mit auf dem Weg. Aus diesem Grund kontrolliert Sarkozy Frankreich heute stärker, als es Vorgängern wie de Gaulle, Mitterrand oder Chirac jemals gegeben war. Das ist das demokratisch Bedenkliche, das sich in dem königlichen Auftritt in Versailles offenbart. (Stefan Brändle/DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2009)