Die Lebensdauer einer Dachabdichtung, die der freien Witterung ausgesetzt ist, wird aufgrund der Schutzschicht der Dachbegrünung um viele Jahre verlängert.

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Christian Oberbichler: "Grundsätzlich ist es egal, ob sie eine Unterkonstruktion aus Beton, Stahl, Holz oder aus Blech haben. Wenn die Tragkonstruktion von der Statik her möglich ist und wenn man dem Dach rundum eine Einfassung geben kann, kann man das Dach begrünen."

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Gerade auch in der Phase der Sanierung eines Hauses sieht Christian Oberbichler vom Verband für Bauwerksbegrünung (VfB) den idealen Zeitpunkt für die Begrünung eines Daches. "Wir sanieren gerade alles thermisch, wir packen jede Menge Dämmstoff drauf" – der Aufwand sei also schon da, so Oberbichler, man müsste nur einen Schritt weiter denken. Im Interview mit derStandard.at erklärt der Experte auch, warum sich mit einem Gründach eine Klimaanlage einsparen ließe und warum das Zusammenspiel von Solaranlage und Dachbegrünung ganz wunderbar funktioniert.

Die Fragen stellten Iris Seebacher und Martin Putschögl.

derStandard.at: Welche Dächer sind für eine Begrünung geeignet?

Christian Oberbichler: Das hängt einerseits von den statischen Möglichkeiten und andererseits von der Dachneigung ab. Die klassische Dachbegrünung findet auf dem Flachdach oder dem flach geneigten Dach statt. In letzter Zeit wurden aber bereits immer mehr Steildächer – also auch bis zu einer Neigung von 25 oder 35 Grad – begrünt. Grundsätzlich kann jedes Steildach begrünt werden, der technische Aufwand wird aber mit der Neigung höher, weil die aufgebrachten Aufbauschichten vor dem Abrutschen gesichert werden müssen.
Unterschieden wird zwischen Intensiv- und Extensiv-Begrünung. Extensiv sind die ganz dünnschichtigen Gründachaufbauten – beginnend bei acht oder zehn Zentimetern - mit so genannten Flachballen-Pflanzen bzw. Sedum-Pflanzen. Das sind Dickblattgewächse, die in Blattteilen Wasser speichern können und keine zusätzliche Beregnung brauchen. Diese Pflanzen kommen mit einer sehr dünnen Substratschicht aus.

derStandard.at: Wie geht man bei der Begrünung eines sanierungsbedürftigen Flachdachs vor?

Oberbichler: Beim Gründach arbeiten Statiker, Dachdecker/Spengler und Begrüner zusammen. Das Wichtigste in der Checkliste bei einer Sanierung ist die Frage der nachträglichen Auflasten, die ich vorher nicht hatte. Wenn vorher schon eine Kiesschicht drauf ist, dann kann man das leicht substituieren. Fünf Zentimeter Kies haben 80 Kilo, zehn Zentimeter Leichtdachaufbau vom Gründach haben auch diese 80 Kilo. Wenn man aber eine intensivere Begrünung will, kommen zusätzliche Lasten dazu, weil der Schichtaufbau höher wird. Das muss man dann mit einem Statiker abklären.

derStandard.at: Gibt es auch Dächer, die nicht geeignet sind?

Oberbichler: Bestehende Ziegeldächer müsste man abtragen, weil man die Begrünung nicht einfach auf die Ziegelschuppen draufsetzen kann. Es gibt zwar Modelle, wo man einzelne Ziegeln mit kleinen integrierten Schalen verwendet, in denen dann kleine Insel-Pflänzchen sitzen. Aber das würde ich dann eher eine "Behübschung" nennen.
Grundsätzlich ist es aber egal, ob sie eine Unterkonstruktion aus Beton, Stahl, Holz oder aus Blech haben. Wenn die Tragkonstruktion von der Statik her möglich ist und wenn man dem Dach rundum eine Einfassung geben kann, kann man das Dach begrünen.

derStandard.at: Was sind die Hauptkriterien, die für eine Dachbegrünung sprechen?

Oberbichler: Alles, was wir in der Dachbegrünung machen, ist eine Synergie aus Natur und Technik – altbewährt, aber völlig unterschätzt in der Wirkung. Die Lebensdauer der normalen Dachabdichtung, die der freien Witterung ausgesetzt ist, wird aufgrund der Schutzschicht der Dachbegrünung etwa um viele Jahre verlängert. Eine Dachbegrünung dämpft die Temperaturspitzen komplett ab, weil sie die freie Einstrahlung auf das Dach mindert. Sie haben 75 Grad auf einer nackten Dachabdichtung, aber nur mehr 10 bis 20 Grad unter einer Begrünung.
Würde man alle Flachdächer in Österreich dickschichtig begrünen, so könnten wir bis zu 75 Milliarden Liter Wasser zurückhalten, dieses Wasser würde über die Pflanzen wieder verdunsten und würde die Kanäle und Flüsse entlasten. Es würde eine Reduzierung der Abwassermenge um sieben Prozent pro Jahr bedeuten.

derStandard.at: Erkennt man in Österreich also den Wert einer Begrünung noch nicht?

Oberbichler: Bei uns herrscht noch immer die Meinung vor: Den Garten mache ich selber, der darf nichts kosten. Aber das Potenzial, das dahinter steckt – angefangen bei der persönlichen Zufriedenheit – das darf man nicht übersehen. Und die Entstehungskosten sind um so viel geringer als der Betrag, den die Immobilie dadurch an Wert zulegt. Die Qualität des Gartens entfaltet sich dann mit den Jahren. Dann haben sie plötzlich eine Wohnung mit einem traumhaften Dachgarten, für den Käufer um einiges mehr zahlen.

derStandard.at: Braucht man bei einem Gründach weniger Dämmmaterial?

Oberbichler: In Österreich dürfen wir das Gründach nicht zur Dämmschicht aufrechnen. De facto würden wir weniger Dämmung brauchen, weil die Dämmwirkung für winterlichen und sommerlichen Dämmschutz gegeben ist, aber es wird nicht angerechnet für die diversen Dämmstärkenberechnungen.
Grundsätzlich sind die Herstellungskosten eines Gründaches nur geringfügig höher als jene eines herkömmlichen Flachdachs. Langfristig kommt das begrünte Dach aber in jedem Fall billiger, vor allem, wenn man die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten berücksichtigt.

derStandard.at: Lässt sich durch eine Dachbegrünung auch eine Klimaanlage einsparen?

Oberbichler: Ja, das ist nachgewiesen. Das Regenwasser, das in der Begrünung gespeichert wird, fließt einerseits nicht ins Kanalnetz, entlastet also die Abwasserspitzen. Zweitens fördert das Wasser, das "vor Ort" auf dem Dach verdunstet, das lokale Klima, und drittens lukriert man dadurch eine so genannte Verdunstungskälte. Das muss man sich vorstellen wie bei einer Gore-Tex-Funktionskleidung: Wenn die Kleidung nass geworden ist und trocknet, dann fröstelt einem drinnen.
Diesen Effekt nützen wir beim Gründach: Das Wasser verdunstet, dies erzeugt Kälte, und damit hat man eine passive Gebäudekühlung. Ein Gebäude mit Dachbegrünung frisst also weniger Energie für die Klimatisierung als ein Gebäude ohne Dachbegrünung.

derStandard.at: Verträgt sich auch eine Solaranlage mit der Dachbegrünung?

Oberbichler: Ja, absolut. Wir sehen ja gerade eine sehr spannende Zeit, weil wir mehrere unterschiedliche Funktionen auf den Flachdächern gemeinsam unterbringen müssen. Eine Solaranlage bringt sogar den Vorteil mit sich, dass im Halbschatten oder rund um die Kollektoren die Begrünung sehr gut funktioniert. Und der Kühleffekt durch die Wasserverdunstung kann wiederum für die Kollektoren in Anspruch genommen werden.

-> Weiter zu Teil 2: Christian Oberbichler über Förderungen in Österreich und die nicht mögliche Anrechnung als Dämmmaterial

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derStandard.at: Wie werden Dachbegrünungen in Österreich derzeit gefördert?

Oberbichler: Da gibt es in den Bundesländern die verschiedensten Modelle. In Wien ist die Förderung abhängig vom Schichtenaufbau. Pro Zentimeter wird ein bestimmter Betrag bezahlt, der aber – leider – bei 2.200 Euro gedeckelt ist. Jeder kann diese Förderung bei der MA 42 beantragen, egal ob privater Hausbesitzer oder Firma. Die Gemeinde Wien schreibt aber ohnehin Bauherren schon oft ein Gründach vor, insbesondere in Außenbezirken oder bei Hinterhofverbauungen.

derStandard.at: Österreich hinkt trotzdem bei der Dachbegrünung Deutschland und der Schweiz hinterher. Warum?

Oberbichler: Am Know-How liegt es nicht. Österreichische Unternehmen haben Methodiken entwickelt, haben das Wissen und die Erfahrung. Die ganze Welt kopiert uns, trotzdem ist – groben Schätzungen nach – nur höchstens jedes zehnte Dach begrünt.

derStandard.at: Was müsste passieren, damit mehr Dächer begrünt werden?

Oberbichler: Es mangelt noch ein bisschen an Informationen über den Nutzen und die unzähligen Vorteile. Und natürlich müssten die diversen Fördertöpfe ein bisschen besser dotiert werden.
Idealerweise macht man es so wie in Linz. Dort wurde die Dachbegrünung in die örtliche Raumplanung eingebunden, ein städtisches Entwicklungskonzept gemacht. Die Stadt Linz sagt den Bauherren: Ihr müsst begrünen, aber wir fördern das. Zuckerbrot und Peitsche quasi, dotiert mit einem ordentlichen Budget, sodass nicht nur das Gründach selber, sondern auch zusätzliche Ausgaben etwa für die Statik mitgefördert werden können. Damit hat Linz schon 500 Hektar Begrünung zusammengebracht.
Es mangelt aber auch noch an der Prioritätensetzung. Tausende Euro sind oft im Fußboden oder in der Glasfassade versteckt, und beim Geld für ganz oben – die Dachbegrünung startet bei 15 oder 20 Euro pro Quadratmeter -, da sagen die Leute dann: Dieses Geld haben wir jetzt nicht mehr. Das ist Tatsache: Die Begrüner kommen erst ganz zum Schluss. Die Fassade muss fertig sein, die Abdichtung muss fertig sein, und dann muss auch noch ein Budget übrig sein. Das ist halt oft problematisch.

derStandard.at: Geht die Begrünung in der Diskussion um die thermische Sanierung also etwas unter?

Oberbichler: Ja. Dabei hätten wir gerade jetzt die Chance, ohne Probleme Dachbegrünungen durchzuführen. Wir sanieren gerade alles thermisch, packen überall jede Menge Dämmstoff drauf, räumen gewisse Schichten herunter. Das wäre der ideale Zeitpunkt, um diese Schichten problemlos durch eine Dachbegrünung zu ersetzen. Denn jetzt ist der Aufwand schon da: Ich muss die Baustellenlogistik machen, also die gesamte Planung, auch von den Behördenwegen her. Dieser Gedanke geht leider bei der ganzen Sanierungsthematik etwas unter.
Im Übrigen gefällt mir der Begriff "Erneuerung" besser als "Sanierung". Saniert wird immer dann, wenn etwas kaputt ist. Aber es wird dabei nicht optimiert. Bei der Erneuerung wird optimiert: Wir erneuern die Gebäude mit modernen Methoden. Thermische Sanierung in Kombination mit der Dachbegrünung ist eine absolute "Win-Win"-Geschichte.

derStandard.at: Dann müsste auch beim Häuslbauer ein Umdenken stattfinden?

Oberbichler: Das passiert schon. Die niederösterreichische Wohnbauförderung hat zum Beispiel das Thema aufgegriffen. Viele Leute bauen ihre Flachdächer als Kiesdach und kommen dann drauf, dass sie Förderungen für eine Dachbegrünung bekommen. Die sagen dann im Nachhinein: Okay, den Kies lassen wir weg, wir machen ein Gründach drauf. Oder sie machen zunächst einmal nur die wurzeldichte Abdichtung aufs Dach, und die Begrünung erst drei, vier Jahre später. Gerade durch die Information für die Wohnbauförderung geht bei den Häuslbauern ordentlich was weiter. (derStandard.at, 22.6.2009)