Der Jedermann 2010: Nicholas Ofczarek, Ausnahmeschauspieler an der Burg, gibt am 11. Juli sein Debüt als Regisseur in Reichenau mit Arthur Schnitzlers "Spiel im Morgengrauen".

Foto: Irene Schaur / 1st

Nicholas Ofczarek sprach mit Andrea Schurian über schwarze Löcher nach der Premiere, die Kindheit und seine kluge Frau.

Standard: Als Ihnen der Schauspielchef der Salzburger Festspiele den "Jedermann" angeboten hat: Haben Sie eigentlich kurz überlegt, abzulehnen?

Ofczarek: Nein. Keine Sekunde. (lacht) Thomas Oberender hatte das Wort Jedermann noch nicht fertig ausgesprochen, habe ich schon ja gesagt.

Standard: Es ist aber doch ein seltsam moralisierendes Stück, oder?

Ofczarek: Wie oft moralisieren die Menschen? Oft. Das Geheimnis liegt wahrscheinlich in einer Naivität, in einer Einfachheit. Ich werde das Stück nicht ändern, sondern so machen, wie ich es eben kann.

Standard: Also wie? Wie werden Sie den "Jedermann" anlegen?

Ofczarek: Keine Ahnung. Es ist ja noch ein Jahr Zeit bis dahin. Und überhaupt: Ich lege Rollen nicht an, denn das würde heißen, dass ich schon vor der Probe wüsste, wie ich es mache. Das ist nie der Fall. Im Gegenteil, es geht mir wahnsinnig auf den Keks, wenn Kollegen auf die Proben kommen und von daheim mitbringen, wie sie's machen wollen. Das ist verkopft und funktioniert meist nicht, weil es nicht lebendig ist, nicht auf den Partner und die Situation reagiert. Das ist der Tod des Live-Erlebnisses auf dem Theater.

Standard: Sie können das Live-Erlebnis derzeit ziemlich intensiv auskosten: Sie stehen in vier Produktionen auf der Bühne. Passiert es, dass man sich dann manchmal im falschen Stück wiederfindet, den Text verwechselt?

Ofczarek: Nein. Was aber passiert, ist, dass man Parallelen erkennt, sich andere Figuren einschleichen. Vor allem, wenn man vormittags probt und abends spielt, da kommt dann diese Energie dazu. Das ist sehr schön, weil man dann schon weichgekocht ist und dann Theater spielt.

Standard: George Tabori hat einmal gesagt, das Spannendste am Theater sei das Scheitern.

Ofczarek: Bei mir geht Arbeiten nur übers Scheitern. Ich scheitere, weil ich viel riskiere. Aber weil wir Schauspieler auch Huren sind, ist später alles schnell vergessen.

Standard: Nach der Premiere kommt dann das große Aufatmen?

Ofczarek: Nein. Da ist zuerst diese intensive Probenarbeit – und dann plötzlich ist da das Nichts. Die Premierenlöcher werden immer furchtbarer für mich: Wenn man nach der Premiere in ein Vakuum fällt, wirklich in eine Depression. Diese Phase dauert immer länger, egal ob es ein Erfolg war oder nicht. (lacht) Das klingt so, als ob ich wahnwitzig abhängig wäre von meinem Beruf. Bin ich auch. Aber ich versuche auch, ein bisschen mehr zu leben. Weil wenn du nicht in die Welt schaust, kannst du nicht Theater spielen.

Standard: Reizt Sie der Film als Weltbeobachtung?

Ofczarek: Ich habe einen Kinofilm auf Schwyzerdütsch gemacht: Sennentuntschi kommt nächstes Jahr ins Kino. Regisseur Michael Steiner ist ein absoluter Könner, es war ein großartiger Dreh. Genauso könnte ich mir vorstellen, Filme zu machen. Aber die Bühne fehlt mir immer wieder, wenn ich drehe, denn am Theater hat man Zeit, etwas ernsthaft zu erarbeiten. Meine Sehnsucht jedoch ist, dass ich beides mache, Film und Theater, denn es sind zwei verschiedene Berufe. Aber dann gute Stoffe, gute Filme mit guten Leuten.

Standard: Derzeit üben Sie Ihren dritten Beruf aus: Sie führen erstmals Regie in Reichenau: Arthur Schnitzlers Novelle "Spiel im Morgengrauen", die Stefan Slupetzky für die Bühne adaptiert hat. Was reizt Sie am Inszenieren?

Ofczarek: Das Gestalten.

Standard: Aber das machen Sie doch beim Spielen auch?

Ofczarek: Ja, aber anders. Für das Inszenieren braucht man eine Vision, es reicht nicht zu sagen: Ich kann spielen, also mach' ich jetzt Regie. Das Inszenieren hat mein Hirn aufgerissen, hat mich weitergebracht, bereichert, menschlich und als Schauspieler. Es ist ein Gewinn für mich.

Standard: Was sind diese bereichernden Erkenntnisse?

Ofczarek: Zum Beispiel, dass Regisseure wahnsinnig verletzbar sind. Das wusste ich vorher nicht. Wenn ich jetzt einem Schauspieler einen Vorschlag mache und der antwortet: "Aha, vielleicht", dann verunsichert mich das. Weil: Warum vielleicht? Und warum "Aha"? Mag er mich nicht? Ich habe keine Harmonieproben geführt; ich bin wohl um Harmonie bemüht, aber nicht um jeden Preis. Es hat mich überrascht, wie streng ich bin. Aber ich glaube, dass es den Schauspielern gutgeht, weil wir ernsthaft arbeiten, uns mit den Rollen auseinandersetzen. Ich freue mich sehr auf die Premiere. Und wenn das Stück nicht so angenommen werden sollte, wie ich hoffe, so hatten wir eine gute Zeit, eine gute, intensive Arbeit.

Standard: Ihre Frau Tamara Metelka spielt auch mit. Wie schwierig ist es, wenn beide Schauspieler sind und der eine gerade den Supererfolg feiert?

Ofczarek: Meine Frau ist ja viel gescheiter als ich. Als sie letztes Jahr den Farkas-Abend von Nicolaus Hagg und mir inszeniert hat: Das war die Hölle, weil ich mir nichts habe sagen lassen. Ich bin ja schon eifersüchtig, wenn sie den schwarzen Gürtel bei Taekwondo macht. Natürlich ist der Beruf Thema bei uns, aber wir vermeiden wirklich, darüber zu reden. Wir sind ja nicht wegen des Berufs zusammen, sondern weil wir uns lieben. Oft nervt es uns auch, wie da der Beruf in unser Leben hineinschwappt.

Standard: Sind Sie das nicht schon von Kind an gewöhnt? Sie sind doch in einem Sängerhaushalt aufgewachsen?

Ofczarek: Ich habe natürlich ihre Ängste mitgekriegt: Wenn sie um drei Uhr früh in der Küche Gesangsübungen gemacht haben und verzweifelt waren, weil sie den Ton nicht so modelliert haben, wie es die Gesangslehrerin wollte. Wir sind wegen der Engagements meiner Eltern alle paar Jahre umgezogen. Das war für mich als Kind und Jugendlicher nicht leicht. Es hat mir viel Schmerz gebracht, Wut und Trauer. Es hat mich traumatisiert. Wie ich mit 15 aus einem Kuhdorf in der Schweiz nach Wien gekommen bin: Das war ein richtiger Schock.

Standard: Was haben Ihre Eltern zum "Jedermann" gesagt?

Ofczarek: Die haben eine Flasche Rotwein miteinander getrunken und sind zum Schluss gekommen, dass sie wohl irgendetwas richtig gemacht haben müssen als Eltern. Da habe ich fast geweint. Es hat mich sehr gerührt, dass sie so glücklich sind und fast platzen vor Stolz. Also meine Tochter wird den Jedermann nicht spielen. Obwohl, wer weiß (lacht): Vielleicht ändert sich das, und die Buhlschaft wird ein Mann ... (DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.06.2009)