München/Washington - Herzrasen, innere Agonie, zuweilen sogar Atemnot: Wer sie kennt, weiß nur zu gut, welch eine Tortur Panikattacken sind. Knapp 30 Prozent der Bevölkerung werden einmal im Leben von ihnen heimgesucht, und allzu oft werden die Angstschübe zu einer chronischen Qual.

Die Ursachen von Panikzuständen ließen sich bislang noch nicht komplett aufdecken, doch es scheint als gesichert, dass in vielen Fällen Störungen im Stoffwechsel von Gehirnzellen die Auslöser sind. Vor allem die sogenannten GABAA-Rezeptoren in den Zellmembranen gerieten diesbezüglich ins Visier der Wissenschaft.

Um krankhafte Panikzustände medikamentös zu lindern, setzen Mediziner häufig Benzodiazepine wie z. B. Diazepam ein. Diese Substanzen wirken schnell und spürbar, ihre Verabreichung hat allerdings einige schwerwiegende Nachteile: Zu leicht werden die Patienten süchtig nach diesen chemischen Angstkillern. Als Alternative lassen sich Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahme-hemmende Mittel verschreiben, die jedoch meist erst nach einigen Wochen eine Verbesserung des Befindens bewirken.

Nun aber gibt es eine neue Perspektive. Ein internationales Forscherteam unter Leitung des Psychiaters Rainer Rupprecht von der Ludwig Maximilian Universität in München hat die Wirkung einer Substanz mit der technischen Bezeichnung XBD137 auf den GABAA-Stoffwechsel untersucht und publizierte die hoffnungsvollen Ergebnisse in der aktuellen (Online-)Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science.

Die Substanz entfaltete bei Ratten und in späteren Versuchen auch bei Menschen akute paniklösende Wirkung. Die Testpersonen waren gesunde junge Männer, die die Wissenschafter mittels der Verabreichung des Neuropeptid-Fragments CCK-4 in einen künstlichen Angstzustand versetzt hatten. Eine XBD137-Dosis von 90 mg pro Tag führte zu deutlich spürbarer Verbesserungen des Empfindens. Von Suchtentwicklung oder Wirkungsverlust dagegen keine Spur, weder bei Menschen noch Ratten.

Die Wirkung von XBD137 beruht auf seiner Funktion als sogenannter Ligand für ein Translocatorprotein, welches Cholesterol zur Synthese von Neurosteroiden transportiert. Wenn das Protein mit einem Ligand gebunden ist, wird dieser Prozess stimuliert. Die vermehrt produzierten Neurosteroide wiederum fördern die GABAA-Neurotransmission, was u. a. zu eine Linderung von Panikgefühle führt. Komplex, aber effektiv.

Man könne jetzt daran gehen, die Anwendung von XBD137 für medizinische Zwecke weiterzuentwickeln, erklärt Rainer Rupprecht im Gespräch mit dem Standard. "Ob das allerdings Marktreife kriegt, hängt von den weiteren Studien ab." Der Experte möchte keine übertriebenen Erwartungen schüren. Bis ein potenzielles Medikament wie XBD137 ausreichend getestet und weiterentwickelt ist, dürften etwa fünf Jahre vergehen. Aber die Pharmaindustrie hat bereits Interesse gezeigt. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. Juni 2009)