Wien - Er sei die "Ausnahme" - "ein Revolutionär und Praktiker" in einer Gruppe von Theoretikern. So beschrieb der frühere polnische Staatspräsident und legendäre Gewerkschaftsführer Lech Walesa am Mittwochabend in Wien seine Rolle in der zwölfköpfigen EU-Reflexionsgruppe, dem sogenannten Rat der Weisen. Daher sei auch seine Herangehensweise eine andere, meinte Walesa bei der Podiumsdiskussion zum Thema "Wohin steuert die EU?".

Walesa sprach sich für eine Verbesserung der Strukturen in der Europäischen Union aus. Europa müsse angesichts seiner Herausforderungen steuerbar sein. Auf jene Länder, die heute den Lissabon-Vertrag blockierten, müsse man einwirken, meinte der ehemalige Staatspräsident: "Europa will keine zwei Geschwindigkeiten." Gleichzeitig könne man es sich nicht erlauben, "dass jetzt jemand die Strukturen torpediert".

Der Friedensnobelpreisträger appellierte, an "das Große zu denken, an die Solidarität": "Wir haben ein neues Zeitalter eingeleitet, aber jeder denkt noch immer in alten Schemen." Die Menschen müssten zu einer globalen, europäischen Denkweise kommen, sagte Walesa, der auch die Notwendigkeit von Werten unterstrich: Europa brauche "ein Fundament".

Der österreichische Demografie- und Migrationsexperte Rainer Münz, der ebenfalls dem "Weisenrat" angehört, wies darauf hin, dass man zu dem Zeitpunkt, als das Gremium geschaffen wurde, von einem "Nachdenken über eine Post-Lissabon-Vertrags-Agenda" ausgegangen sei. Mittlerweile sei jedoch nicht mehr klar, ob der Vertrag in Kraft treten werde. Auftrag der Gruppe sei es, zehn bis 20 Jahre in die Zukunft zu denken. "Der Frage, auf welcher Grundlage, wenden wir uns erst zu, wenn klar ist, ob Lissabon kommt oder nicht."

Bei bisherigen Treffen des "Weisenrates", die monatlich in Brüssel stattfinden, wurden laut Münz Themen wie Bürgernähe und europäische Werte, Demografie und Migration, Klimaschutz und Energiesicherheit, aber auch die Zukunft des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells besprochen. Noch in diesem Monat werde man sich mit der Rolle Europas in der Welt befassen. Während der spanischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2010 solle dann Bericht erstattet werden. Ziel seien 20 bis 25 Seiten "stock-taking (Bestandsaufnahme) und Vorschläge, die einen Horizont eröffnen, wo Europa in zehn, 20 Jahren stehen soll" - und "keine Sprechblasen". (APA)